Friedmann, Hermi

Die in Wien geborene Fotografin Hermi Friedmann emigrierte 1938 nach Kolumbien. Das Asyl- und Lebensmöglichkeit bietende Land erkundete und dokumentierte sie mit einer Fülle von Fotoserien, die von der überwältigenden Schönheit und Kargheit der Landschaften, von der kolonialen Kunst und Kultur sowie vom alltäglichen Leben der Menschen berichten. Ihre Aufnahmen, frei von ästhetisierender und sozialer Romantik, stehen in einem dialogischen Verhältnis zu den Menschen, ihrer mühseligen Arbeit und ungeheuren Armut.

Hermi Friedmann fand ihre Themen in einer fremdartigen, einmal überquellenden, scheinbar unendlich ausgedehnten, dann wieder unwegsam herben Natur und spürte den darin eingebetteten Alltag der Menschen auf: Bauern, Hirten, Landarbeiter und die frühe Fabriksarbeit; eine übergreifende Thematik ihrer Fotoserien gilt der Frau: der arbeitenden Frau am Feld, am Marktplatz, in der Familie, aber auch der künstlerisch tätigen Frau.

Die Fotos aus dem kolumbianischen Leben berichten zunächst von einer selbstverständlichen, gewohnten Welt der Menschen, die erst durch die Abbildung historische Faktizität gewinnt und damit mitteilbar wird. Es sind fotografische Mosaike der kolumbianischen Zeitgeschichte und Wirklichkeit, die sich zu einem bildnerischen Epos über das Land verbinden.

Parallel dazu nahm Hermi Friedmann, die gebildete, mehrere Sprachen sprechende Europäerin, leidenschaftlichen Anteil am kulturellen Leben Kolumbiens. Daraus kristallisierte sich ein fotografisches Werk, das eine von den 40er bis in die 70er Jahre reichende Chronik der Konzerte und Ballettaufführungen in Bogotá umfaßt. Neben den offiziellen Künstlerportraits von kolumbianischen und international bekannten Künstlern und Künstlerinnen interessierte Hermi Friedmann die spontane, situative Aufnahme, die sich über Gespräche oder unaufdringlicher Teilhabe am alltäglichen oder tätigen Zusammenhang herstellte.

Hermi Friedmann wuchs in einer bürgerlich-jüdischen Familie in Wien auf, besuchte zunächst die Volks- und Hauptschule. Von ihrem Vater beeinflusst, der sich als Amateur leidenschaftlich für die Fotografie interessierte und in seinem Haus eine Dunkelkammer eingerichtet hatte, wollte sie Fotografin werden. 1924-28 besuchte sie die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Nach einem längeren Studienaufenthalt in Paris spezialisierte sie sich auf die damals aufkommende fotografische Reproduktion von Kunstgegenständen aus Glas, Silber u. a. sowie von Aquarellen und Ölbildern. Ab 1930 arbeitete sie im Atelier von Lotte Meitner-Graf. Nachdem sie 1934 den Meistertitel für Fotografie erworben hatte, leitete sie bis zum Einmarsch Hitlers in Österreich das Fotostudio Pokorny.

Die Wirtschaftskrise und die politische Entwicklung in Österreich - ihre Brüder waren in der sozialdemokratischen Jugend- und Studentenbewegung aktiv -, aber vor allem die antisemitische nationalsozialistische Diktatur in Deutschland waren Anlass, dass ihr älterer Bruder bereits 1936 versuchte im Ausland Fuß zu fassen.

Kolumbien stand am Anfang seiner Industrialisierung und Modernisierung, daher hatte der Staat großes Interesse an ausgebildeten Fachkräften. Diesem Umstand verdanken Hermi Friedmann und ihre Familie die Rettung. 1938 lebte sie zuerst in Barranquilla, dann in Bogotá, wo sie ein Fotoatelier eröffnete. Neben der Brotarbeit - Fotos von Hochzeiten, Taufen, Ausweisfotos - begann sie zunächst reitend oder mit der Bahn und mit dem Schiff das Land mit der Kamera zu erkunden. Daneben schloss sie Kontakte mit kolumbianischen Künstlern, Literaten, Musikern und Anthropologen; fotografierte bei Konzerten und sonstigen künstlerischen Darbietungen. 1946 erschien ein Buch mit ihren Fotos von Ballettaufführungen. Während des Bürgerkrieges (1948) brannte ihr Atelier, und der größte Teil ihrer Fotos und Negative wurde vernichtet.

1948 und 1967 gewann sie jeweils einen Fotowettbewerb über die Region Boyacá. In den 50er und 60er Jahren entstand eine fulminante Sammlung von Künstlerfotos: Aron Copland, Igor Strawisky, Wilhelm Backhaus, Rudolf Serkin, das Budapest-Quartett, Leonard Bernstein, Jehudi Menuhin, Josephine Baker usw.

Neben vielen Ehrungen, Ausstellungsbeteiligungen war sie 1988 mit vierzig Exponaten an einer internationalen Ausstellung des Museums für Moderne Kunst Bogotá beteiligt. Sie arbeite nur in Schwarz-Weiß und benutzte Kodak und Agfa-Gevaert Material.

Bearbeitet von Karl Müller, Salzburg.

 

Multimedialinks:

Friedmann, Hermi zeigen

 

Printversion aller Artikel (umfasst etwa 200 Seiten)

  

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