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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


Der zweite Band ihrer autobiographischen Aufzeichnungen war Hilde Spiels letztes Buch. Es umfaßt die Zeitspanne von 1946 bis 1989 und überschneidet sich teils mit den Tagebuchaufzeichnungen "Rückkehr nach Wien". Ebenso wie der 1989 erschienene erste Memorienband "Die hellen und die finsteren Zeiten 1911 - 1946" kann auch dieses Buch als komprimierte Zeitgeschichte aus einer sehr persönlichen und direkten Perspektive gelesen werden. Das "name tropping", für das sich Hilde Spiel wortreich entschuldigt, ist kein Selbstzweck. Anhand historischer Persönlichkeiten von Thomas und Klaus Mann über Thomas Bernhard bis zu namhaften Politikern, lässt Hilde Spiel einen guten Teil der Nachkriegsgeschichte Revue passieren. Sie lässt den Leser aber auch immer wieder an ihren eigenen Hoffnungen, Freuden und Ängsten teilhaben und macht auf diese Weise deutlich, dass sich Geschichte immer aus den Schicksalen Einzelner zusammensetzt, dass sich hinter Jahreszahlen und historischen Ereignissen alltägliches Leben verbirgt, das in der herkömmlichen Geschichtsschreibung verschwiegen, übergangen wird. So sind diese Memoiren auch ein Beispiel dafür, was Literatur zu leisten im Stande ist, und was sie allen anderen Formen des Erzählens voraus hat: Den einzelnen Menschen sichtbar zu machen im Wust der Ereignisse und uns mitfühlend zu machen für sein Schicksal.

Die grundsätzliche Haltung Hilde Spiels ihrer alten und später wiedergewonnenen Heimat gegenüber, die sich bereits in "Rückkehr nach Wien" abzeichnet, setzt sich auch in diesem Buch fort. Der Titel ist programmatisch. Die Welt, in der Hilde Spiel ihre wichtigen frühen intellektuellen und kulturellen Erfahrungen gemacht hatte, in der sie sozialisiert wurde, das Wien der 20er und 30er Jahre, existiert nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. England und insbesondere Wimbledon, das sie als "grünes Grab" bezeichnet, lässt sie zeitlebens spüren, dass sie doch keine Britin ist. Aber auch das Österreich der Nachkriegsjahre verhält sich den Exilanten gegenüber misstrauisch und abweisend, und Hilde Spiel, wie auch viele andere ihrer Schicksalsgenossen, hat, abgesehen von wenigen Begegnungen wie z. B. mit Viktor Matejka nicht den Eindruck, als würde man sie in Wien mit offenen Armen empfangen.

Von 1946 bis 1948 hält sie sich als Theaterkritikerin und Korrespondentin in Berlin auf, wohin sie ihrem Mann Peter de Mendelssohn gefolgt war. Mendelssohn ist als britischer Presseoffizier damit beauftragt, Zeitungen und Zeitschriften zu lizensieren, Journalisten für neue Zeitschriften zu finden und zu fördern, um so mitzuhelfen, in Deutschland wieder eine freie und unabhängige Presse aufzubauen. Als britische Staatsbürgerin, als Österreicherin - "London im Kopf, Wien im Herzen" - steht Hilde Spiel dem Leben in Berlin mit Distanz gegenüber, obwohl gerade diese Stadt "eine prägende Zwischenstation auf dem langen Weg zurück aus dem Exil, zugleich authentischer Erfahrungsort der 'Stunde Null' ..." (Siebenhaar, 1999, 87) werden sollte. Hier sind aber auch ähnliche Vorgänge zu beobachten, wie sie sich in Wien nach 1945 abgespielt haben. Viele der Deutschen versuchen den Bruch in der Geschichte nicht wahrzunehmen. Dazu gibt ihnen auch manche Kontinuität, zum Beispiel im Bereich des Theaters, Gelegenheit, haben doch zahlreiche Schauspieler die Naziherrschaft offenbar unbeschadet überstanden. Sie spielten vor Hitler, sie spielten während Hitler und sie spielten nach Hitler. Wenige nahmen daran Anstoß. Freilich etablierte sich daneben auch ein neues Theater, bestehend aus Remigranten und jungen Talenten, die sich insbesondere um Wolfgang Langhoffs 'Deutsches Theater' versammelten.

Mendelssohn, Peter de zeigen

Auch die Deutschen bemühten sich nicht sonderlich, ihre Exilanten heimzuholen. Hilde Spiel fällt diese Haltung der Verdrängung und der Schönrederei vor allem bei der Rückkehr Wilhelm Furtwänglers im Frühjahr 1947 auf. Mit keinem Wort wird die unselige Rolle des Komponisten und Dirigenten während des nationalsozialistischen Regimes erwähnt. Spiel zitiert in ihren Erinnerungen den damaligen Bericht, den sie an den "New Stateman" schickte:"[...] sie [Furtwänglers Rückkehr] habe auf beklemmende Weise an ein Stammesritual gemahnt, das die Wiedergeburt eines Mythos feiert. Wie zum Empfang eines gemarterten Propheten, der ihrer aller Schuld auf sich genommen und für sie gebüßt habe, hätten sich bei seinem Eintritt alle von ihren Sitzen erhoben." (Spiel 1990, 35) Weniger später schreibt sie über Furtwängler:"Und wenn er auch immer wieder seinen Taktstock umklammert hielt, während die anderen im Saal den Hitlergruß gegeben hatten, und wenn er in den dunklen Jahren der unverzichtbare Trost aller, auch der ganz und gar schuldlos in die Ereignisse verstrickten Deutschen war - nach dem Abgang von Toscanini, Walter, Klemperer, Kleiber und Buch der einzige gewesen zu sein, der ihrer alle Plätze einnahm und sich den abscheulichen Machthabern nicht verweigerte, konnte ich ihm nicht vergessen, wenn auch verzeihen." (Spiel 1990, 36)

Die Jahre in Berlin bezeichnet Spiel als die wichtigsten, ereignisreichsten und bedeutendsten in ihrem Leben. In diese Zeit fiel einerseits der Beginn ihrer Karriere als Theaterkritikerin und Essayistin über die Ullstein-Zeitung "Die Welt" (Siebenhaar, 1999, 90 f.) in der sie etw 25 Kritiken veröffentlichte und andererseits trug die tägliche Auseinandersetzung mit den politischen und sozialen Gegebenheiten in der von den Alliierten besetzten Stadt zu ihrer persönlichen Entwicklung, ihrer Sensibilisierung ideologischer Programmatik gegenüber, bei. Spiel und ihr Mann hatten lange Zeit gute Beziehungen zu den Sowjets aufrechterhalten. Aber die Stimmung sollte sich gerade in Berlin bald merklich abkühlen, um dann im Kalten Krieg zu Eis zu erstarren.

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