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KAPITEL

1. Biographische Daten und Kontexte
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2. Hilde Spiel - Die hellen und die finsteren Zeiten - Erinnerungen 1911 - 1962
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3. Hilde Spiel - "Der kleine Bub Desidere" - Frühe Erzählungen
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4. Hilde Spiel - "Kati auf der Brücke", 1933
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5. Hilde Spiel - "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation"
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6. Hilde Spiel - "Lisas Zimmer"
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7. Hilde Spiel - "Welche Welt ist meine Welt?"
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8. Hilde Spiel - "Rückkehr nach Wien" - Ein Tagebuch
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9. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hilde Spiel (1911-1990)


Hilde Spiels erster Roman spielt im Wien der 30er Jahre. Er erzählt die Geschichte des 16 jährigen Mädchens Katharine Klaudy. Sie ist ein hochsensibles und von den Entbehrungen des Ersten Weltkrieges gezeichnetes Mädchen. Sie findet keine Orientierungspunkte in ihrer Umgebung. Auch ihre Eltern sind durch den Zusammenbruch der Monarchie aus der Bahn geworfen und stehen der neuen Zeit hilflos gegenüber. Kati gehört zu jenen "Wedekindern", von denen Hilde Spiel in Anspielung auf Frank Wedekinds Drama "Frühlings Erwachen" in ihrer Autobiographie "Die hellen und die finsteren Zeiten" spricht. Sie ist von Schwermut und unbestimmten Ängsten geplagt.

Der Zeitraum der Handlung lässt sich im Vergleich mit historischen Ereignissen, die im Roman erwähnt sind, auf die Zeitspanne vom März 1931 bis zum 22. Feber 1932 eingrenzen. Wir haben es mit zwei parallel laufenden Handlungssträngen zu tun. Kati verliebt sich in den Journalisten Piet Stuyvesant, der die junge aufstrebende Generation nach dem Krieg verkörpert. Er ist weltgewandt und oberflächlich. Die Liebesbeziehung mit Kati ist ebenso eine vorübergehende Leidenschaft wie das Fieber, das ihn bei einer Reportage packt, und das verflogen ist, sobald er sie abgeliefert hat.

Eine zweite Figur, die sich Kati zeitweise als Halt erwählt, ist die 19 jährige Etta Baum, die sich ganz der Dekadenz hingibt. Eine ähnliche Figur taucht als Lisa Leitner in "Lisas Zimmer" auf und hat offenbar ein reales Vorbild, das Spiel in "Die hellen und die finsteren Zeiten" schildert. Man kann "Kati auf der Brücke" daher als Schlüsselroman bezeichnen. Viele Figuren haben Entsprechungen in Hilde Spiels damaligen Freundes- und Bekanntenkreis.

Anhand der Figur der Leni Färber, einer jungen Kommunistin, zeigt Spiel die Faszination, welche die aufklärerisch-humanen Ziele der linken Bewegung in der Jugend des Mittelstandes ausgelöst haben. Aber Spiel sieht den Einsatz für die Schwachen und Unterdrückten durchaus kritisch, wenn sie die Figur auch sympathischer anlegt, als den erfolgsorientierten Piet. Bemerkenswert ist, dass es in diesem Roman weder ein bedrohliches Elternhaus noch einen sadistischen Lehrer wie in Torbergs "Der Schüler Gerber hat absolviert" gibt. Die Welt der Erwachsenen ist bedeutungslos. Die Erwachsenen orientieren sich an der Jugend, wie der Publizist Lukas Steiner, der die Protagonistin anfleht, er brauche die Jugend, weil er das Nahen des Alters spüre. Katis Mutter stürzt sich ins nächtliche Vergnügen, weil sie das Gefühl hat, etwas in ihrem Leben versäumt zu haben. Sie kümmert sich nicht um ihre Tochter, erkennt deren Probleme nicht. Der Vater leidet an Lungentuberkulose, fällt als Bezugsperson aus und wird in ein Sanatorium eingeliefert, wo er stirbt. Wie Torberg wird sie für ihren Erstling 1934 mit dem Julius-Reich Preis-ausgezeichnet.

Torberg, Friedrich zeigen

Kati ist der Welt sowie den unheimlichen Bildern ihres Inneren schutzlos ausgeliefert. Wenn sie sich umsieht, kann sie niemanden erkennen, der als Vorbild in Frage kommen würde. Es wird eine Initiation beschrieben, eine Eingliederung in eine Gesellschaft, die dafür keine Regeln bereit hält. Niemand ist da, der Kati über die Brücke aus ihre Kindheit in das Erwachsenenalter hinüberführt.

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