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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Zur Vorgeschichte
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3. "Anschluss" - literarische Pogromstimmung
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4. Verlauf und Richtung der Exilbewegung
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5. Zeitschriften des Exils
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6. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Österreichische Exilliteratur im Überblick


"Österreich und seine Literatur wurden 1938 in doppelter Weise überrollt [...] Österreich wurde aufgelöst; mitaufgelöst wurde die österreichische Literatur. Sie konnte fortan nur mehr in der Emigration geschrieben werden." ( Scharang, 1983, 8)

Etwa 1.200 Autorinnen und Autoren mit Wohnsitz im Gebiet des "Landes Österreich" (das von den Nationalsozialisten zuerst als "Ostmark" bezeichnet, ab 1942 mit dem Ausdruck "Alpen- und Donaugaue" umschrieben wurde) gehörten der dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda unterstehenden Reichsschrifttumskammer (RSK) an oder durften einzelne Werke aufgrund eines von der RSK ausgestellten "Befreiungsscheins" publizieren.

Wer ist ein Schriftsteller, eine Schriftstellerin? Das Spektrum der im weitesten Sinne literarischen Tätigkeiten ist ziemlich breit - von der Übersetzerin und dem Drehbuchschreiber über den Gelegenheitslyriker bis zum preisgekrönten Verfasser voluminöser und anspruchsvoller Romane. Für das Exil, in dem die Verbreitung deutschsprachiger Werke nur sehr beschränkt möglich war, wäre es ganz unsinnig, nur die professionellen Autoren als Schriftsteller/innen gelten zu lassen. Nicht nur den Auflagen, auch der Diversifizierung literarischer Tätigkeiten waren im Exil Grenzen gesetzt - z. B. war die Nachfrage nach Übersetzungen ins Deutsche (außer für die alliierten Propagandasendungen und -schriften) eher gering. Und der Rundfunk, als in den 1930er Jahren für viele bereits wichtige Einnahmequelle, entfiel fast gänzlich. Auf der anderen Seite wurden viele durch die Exilsituation gezwungen, literarischen Tätigkeiten nachzugehen, die sie bislang vermieden hatten: Recherchearbeiten für die Produktionen anderer, Abschreibe- und Korrekturarbeiten, Drehbucharbeit. Und motiviert durch das antifaschistische Engagement begannen viele, Essays und Polemiken für deutschsprachige Exilzeitschriften, die natürlich keine Honorare zahlen konnten, zu schreiben.

Die Anzahl der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die vor und während der Periode der NS-Herrschaft verfolgt, in Konzentrationslagern ermordet, aus ihrer Heimat vertrieben wurden, entspricht ungefähr der Anzahl der von der RSK betreuten, also ebenfalls etwa 1200. Das Jahr 1938 markiert, wie schon die trockenen Zahlen zeigen, eine bis dahin in Österreich ungekannte Spaltung zwischen einer Literatur der Daheimgeblieben, einer "Literatur im Reich" und einer Exilliteratur, zu der auch die im Untergrund entstandene Literatur des Widerstandes und jene Schreibenden zu zählen sind, die wegen ihrer jüdischen Herkunft in den Vernichtungslagern den Tod fanden.

Salzburger Bücherverbrennung 1938 zeigen

Dass sich Schriftsteller im Exil befanden, war in Österreich, anders als z. B. in Polen oder Russland, nicht gang und gäbe gewesen. Charles Sealsfield (der zuerst in die USA, dann in die Schweiz ging), Ferdinand Kürnberger, Moritz Hartmann oder Sigmund Engländer (die als 1848er-Demokraten und polizeilich Verfolgte nach Deutschland, Frankreich oder England emgrierten) stellen im 19. Jahrhundert Einzelfälle dar. In der Zeit von 1867 (Verkündung des "Staatsgrundgesetzes") bis 1934 (Errichtung des "Christlichen Ständestaates") bestanden, zumindest für deutschsprachige Schriftsteller, politisch keine schwerwiegenden Gründe, ins Exil zu gehen. Eine Ausnahme bildeten vielleicht die als "Anarchisten" verfolgten sozialdemokratischen Schriftsteller wie Andreas Scheu: Für sie war nicht das Exil die adäquate Antwort auf die polizeiliche Verfolgung, vielmehr saßen sie ihre Strafen (meist wegen Pressedelikten) ab und betrachteten ihre Gefängnisaufenthalte als einen unvermeidlichen Bestandteil des politischen Kampfes, den sie führten. Sie zweifelten nicht, irgendwann einmal Recht zu bekommen. Während des Ersten Weltkrieges nahmen Kriegsgegner wie Albert Ehrenstein und Stefan Zweig vorübergehend Aufenthalt in der Schweiz. Und in den 1920er Jahren übersiedelten relativ viele österreichische Schriftsteller/innen nach Deutschland, vor allem nach Berlin, teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils weil sie sich durch die Dynamik des deutschen Kulturlebens angezogen fühlten. Das Exil als Form des Protests gegen unerträgliche Verhältnisse im eigenen Land hatte in Österreich außer in den Jahren vor und unmittelbar nach 1848 keine Tradition. Daher existierten im 20. Jahrhundert , anders als bei den Polen und Russen, auch keine bereits etablierten Zentren eines möglichen literarischen Exils. Um so schlimmer wirkte der Schock der Okkupation Österreichs durch Hitlerdeutschland, der ja auch dadurch verschärft wurde, dass in Österreich in nur wenigen Monaten ein System totalitärer Gewaltherrschaft etabliert wurde, das im Deutschen Reich in den fünf Jahren 1933-38 Schritt für Schritt herausgebildet worden war. Vor allem wurden die "Nürnberger Rassegesetze" von 1935 sofort wirksam; 225.000 Österreicher/-innen jüdischer Herkunft waren mit einem Schlag rechtlos, "vogelfrei", verloren ihre Beschäftigung, ihre Wohnungen, ihr Eigentum und sahen sich nach den Ereignissen des Novemberpogroms 1938 ("Reichskristallnacht") an Leib und Leben gefährdet.

Wien Tempelgasse: nach der "Kristallnacht" zeigen
Hahn-Beer, Edith erzählt: Kristallnacht in Wien zeigen
Mitterer, Felix: Kein schöner Land zeigen
Ehrenstein, Albert zeigen

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