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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Zur Vorgeschichte
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3. "Anschluss" - literarische Pogromstimmung
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4. Verlauf und Richtung der Exilbewegung
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5. Zeitschriften des Exils
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6. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Österreichische Exilliteratur im Überblick


Am 1. April 1938 schrieb der katholische Schriftsteller Rudolf List in der vormals christlich-sozialen Wiener "Reichspost": "Die dunklen Kräfte, die seit Jahr und Tag das eigenvölkische Kulturleben unserer Stadt und unseres Landes mit einem Raubspinnennetz umgaben, Parasiten am lebendigen Leib des Volkstums, Schmarotzer an der höheren Seele unseres Seins, diese dunklen Kräfte hat der Sturmwind der Erneuerung hinweggefegt, der Weg ist klar: er führt aus dem Volk zum Volk. Er führt ... über Namen hinweg, die wie tönerne Götzen an der Fassade, aber auch hinter den Kulissen eines kulturpolitischen Geschehens standen, das die Besten unter den Schaffenden immer wieder mit stummer Empörung und weher Scham erfüllte. Und uns katholische Deutsche um so tiefer und heftiger, weil wir die enge Verbindung jüdischer Machtinteressen und einer äußerlich katholischen, in Wahrheit aber erzliberalen Kulturpolitik als eine unerhörte Schmach miterleben und miterdulden mußten ..." Eine Woche später konkretisierte List, dass von den in Kürschners Literaturkalender von 1926 verzeichneten etwa 600 in Wien lebenden Schriftstellern 450 "Juden" gewesen seien. Rudolf Lists Ausführungen spiegeln nicht nur die Pogrom-Stimmung der März-Tage, sie verraten auch, dass der Antisemitismus nicht erst seit dem "Anschluss" in der österreichischen Literatur eine maßgebliche Rolle spielte. "Juden" wurden schon im "Ständestaat" bei Preisverleihungen nicht berücksichtigt - sie galten im eigenen Land als nicht wirklich 'dazugehörig'. Es ist dabei nur erstaunlich, in welch geringem Ausmaß sich die vom Judenhass betroffenen Schriftsteller/innen gegen den Antisemitismus ihrer Schriftstellerkollegen wandten, als noch Zeit war, einigermaßen offen Stellung zu nehmen.

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