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KAPITEL

1. Überblick über die Situation der österreichischen Exilforschung
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2. Die Jahre 1933 und 1934
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3. Politische Orientierung der Exilanten nach der Massenemigration 1938
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4. Das "andere Österreich" - die Kontroverse zwischen Lothar und Viertel
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5. Anhang
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Johann Holzner:
Österreichische Literatur im Exil


Am Abend des 11. März 1938 fand in Wien ein denkwürdiges Treffen statt. Ein kleiner Kreis von Freunden, darunter Franz Theodor Csokor, Ödön von Horváth, Alexander Lernet-Holenia und Carl Zuckmayer, diskutierte über den Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg, die Gerüchte und Drohungen, die durch die Stadt schwirrten, und schließlich vor allem über die Frage, welche Fluchtrouten noch offen standen. (Zuckmayer 1986, 73) Einige verließen Österreich in derselben Nacht; nur einer von ihnen, nämlich Lernet-Holenia, sollte im Land bleiben und später einer der wenigen, einer der wichtigsten Repräsentanten der sogenannten "Inneren Emigration" werden.

Csokor, Franz Theodor zeigen
Horváth, Ödön von zeigen
Csokor, Franz zeigen
Lernet-Holenia, Alexander zeigen

Informieren Sie sich, bitte, zu den Begriffen: Wiederaufbau, Staatsvertrag, Ständestaat.

Bauer, Alfredo zeigen
Wiederaufbau nach 1945 zeigen
Österreichischer Staatvertrag 1955 zeigen

Da das neu erstandene Österreich wenig von seinen exilierten Dichterinnen und Dichtern wissen wollte, blieben viele im Ausland, da die "Heimat" keine Hilfe bot und offenbar keinen Wert auf eine Rückkehr legte. Gauß macht für dieses Klima u. a. die Kulturpolitik des ehemaligen Ständestaatsfunktionärs Rudolf Henz (zu Henz vgl. K. Müller 1990, 227-232) in hohem Maße mitverantwortlich, der als Programmverantwortlicher des Österreichischen Rundfunks gezielt förderte oder verhinderte - verhindert wurde von ihm beispielsweise die Ausstrahlung der "Osterlegende" der böhmischen Dichterin Hermynia Zur Mühlen (1883-1951). (vgl. Gauß 1988, 11 ff., 160-173)

Die Situation war vollkommen unübersichtlich. Die deutschen Exilschriftsteller, welcher Strömung oder Gruppierung auch immer sie angehörten, wussten sich immerhin einig in ihrem Selbstverständnis, das vom Nationalsozialismus verfolgte 'andere Deutschland' zu repräsentieren. Die österreichischen Exilschriftsteller hingegen waren sogar in dieser Frage gespalten und nicht selten mit sich selbst uneins. So antwortete Erich Fried, kurz nach seiner Flucht aus Wien, damals 17jährig, auf die Frage, was er vorhabe, einem Mitarbeiter des jüdischen Flüchtlingskomitees in London: "ein deutscher Dichter" zu werden (Kaukoreit 1991, 58); sein erster Gedichtband trug denn auch den Titel "Deutschland", erst seine zweite Sammlung war Österreich" gewidmet. Auch Richard Beer-Hofmann, einer der Wegbereiter der Wiener Moderne, der im New Yorker Exil völlig zurückgezogen lebte und lediglich zur German-Jewish Community Kontakte unterhielt, mochte gegen die Etikettierung, er sei "eben ein deutscher Dichter", nichts einwenden, er legte nur Wert auf die Anmerkung, dass er sich zeitlebens in die Tradition seiner jüdischen Vorfahren eingebunden gesehen habe. (vgl. Borchmayer 1996, 5) Andererseits ist kaum zu übersehen, dass Reminiszenzen an Österreich in den Werken der österreichischen Exilschriftsteller eine alle übrigen Motive überstrahlende Konstante bilden. Sogar dort, wo zunächst von einer ganz anderen Welt die Rede ist: "In der Inselhitze von Manhattan" erinnert sich Ernst Waldinger, in seinem berühmtesten Gedicht, an die kühlen Bauernstuben der Kindheit. In Brasilien, im Subtext seines Brasilien-Buchs, hält Stefan Zweig noch immer die von ihm verklärte Welt der Donaumonarchie präsent. Zweig schrieb zwar über "ein Land der Zukunft", aber - Raoul Auernheimer hat das schon 1943 in einer Besprechung festgehalten - "he returned again and again to Austria in spirit". (Holzner 1996, 708) Auch seine "Schachnovelle" ist ein in dieser Hinsicht eindrucksvolles Zeugnis.

Fried, Erich zeigen
Zweig, Stefan zeigen
Zweig, Stefan zeigen

Die einzige markante Trennlinie zwischen dem deutschen und dem österreichischen Exil, die gleichwohl von der einschlägigen Forschung gelegentlich großzügig ignoriert wird, ist von den sehr unterschiedlichen historischen Grundlagen herzuleiten. Schlüsseldaten wie 1866 und 1918, 1933 oder 1934, die Existenz der Habsburgermonarchie und der Ersten Republik, "die keiner wollte", zahllose für die Mentalitätsgeschichte entscheidende Faktoren sind für die österreichischen Autorinnen und Autoren anders besetzt als für die deutschen. Aus den Konzeptionen, die sie, die Österreicher wie die Deutschen, im Exil für die Zeit gleich nach dem Krieg entwickeln, für ein neues Österreich bzw. Deutschland, werden noch einmal die unterschiedlichen Voraussetzungen klar ersichtlich.

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