zurück zum Inhaltsverzeichnis

KAPITEL

1. Überblick über die Situation der österreichischen Exilforschung
anzeigen

2. Die Jahre 1933 und 1934
anzeigen

3. Politische Orientierung der Exilanten nach der Massenemigration 1938
anzeigen

4. Das "andere Österreich" - die Kontroverse zwischen Lothar und Viertel
anzeigen

5. Anhang
anzeigen

 

Johann Holzner:
Österreichische Literatur im Exil


Aus dem Blickwinkel des österreichischen Literaturbetriebs stellte das Jahr 1933 kaum eine Zäsur dar, wenngleich Hitlers Machtergreifung auch in diesem Raum Erschütterungen auslöste. Eine Reihe von Autoren, von Richard Beer-Hofmann und Albert Ehrenstein bis Franz Werfel und Stefan Zweig, fand sich auf den schwarzen Listen der Nationalsozialisten registriert; eine nicht weniger lange Reihe völkisch orientierter Schriftsteller sah dagegen Chancen, auf die frei gewordenen Plätze nachzurücken. Doch einig waren sich diese beiden Reihen nie gewesen, neu war jetzt allenfalls, dass, wie Ernst Fischer in der "Arbeiter-Zeitung" schrieb, "alles Halbe zu ganzem Bekenntnis oder zu ganzer Erbärmlichkeit gezwungen" wurde. (Amann 1984, 25) Nur in diesem Sinn konnte man von einer Scheidung der Geister reden, als auf dem Kongress des Internationalen P.E.N.-Clubs in Ragusa ein Teil der österreichischen Delegierten (darunter Franz Theodor Csokor, Oskar Maurus Fontana, Paul Frischauer und Hugo Sonnenschein) die von Hermon Ould angeregte Protest-Resolution gegen den Nationalsozialismus unterstützte, während Grete von Urbanitzky, die Geschäftsführerin des österreichischen Clubs, sich dem demonstrativen Exodus der Deutschen anschloss und wenig später, gemeinsam mit anderen, mehr oder weniger rechtsextremen Kolleginnen und Kollegen ihren formalen Austritt aus dem P.E.N. erklärte. (vgl. Spiel 1980, Amann 1984) Die Fronten zeichneten sich jetzt deutlicher ab, eindeutig abgesteckt waren sie noch keineswegs.

Sonnenschein, Hugo zeigen
Frischauer, Paul zeigen

Allein so ist es zu verstehen, dass die meisten österreichischen Autoren, die sich gezwungen sahen, vor Hitler zu flüchten, nach Österreich zurückkehrten. Robert Musil zum Beispiel, der schon in seinem Essay-Entwurf "Der deutsche Mensch" als Symptom "die immer größere Unübersichtlichkeit" der politischen und geistigen Demokratie als Signum der Zeit herausgestellt hatte (Musil 1967, 43); ferner u. a. Franz Blei, Ferdinand Bruckner, Paul Elbogen, Bruno Frei, Egon Erwin Kisch, Anton Kuh, Alfred Polgar, Berthold Viertel und Hermynia Zur Mühlen. Deutsche Autoren folgten ihnen, wie Walter Mehring, Zuckmayer, der seine Berliner Wohnung aufgab und nach Henndorf, in die Nähe der Festspielstadt Salzburg übersiedelte, für eine kürzere Zeit auch Brecht und Tucholsky; Jakob Haringer hatte sich schon 1931 in Ebenau niedergelassen, unweit von Zuckmayers Wiesmühl, die sich zu einem der beliebtesten Treffpunkte der deutschen Emigranten entwickeln sollte. (vgl. Strasser 1996) Politischen Weitblick bewiesen die wenigsten. Vicki Baum, die Starautorin der "Berliner Illustrirten", die nicht mehr nach Wien zurückging, sondern eine Einladung annahm, zur Verfilmung ihres Bestsellers "Menschen im Hotel" nach Amerika zu reisen, um bald darauf sich in Hollywood eine neue Existenz aufzubauen, blieb eine rühmliche Ausnahme.

Baum, Vicky zeigen

Nicht das Jahr 1933, sondern das folgende brachte einen Einschnitt. Der Bürgerkrieg im Februar 1934 endete mit der Zerschlagung aller demokratischen Arbeiterorganisationen, der best-organisierten Arbeiterbewegung Europas. Führende Funktionäre, zahllose Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei, der Kommunistischen Partei, der Freien Gewerkschaften, vor allem Arbeiter mussten aus Österreich flüchten. (vgl. Steiner 1977) Erste Station der Massenflucht war die Tschechoslowakische Republik, das erste Zentrum der Emigration Brünn; später fanden die Flüchtlinge auch Aufnahme in der Sowjetunion, in Jugoslawien, in der Schweiz, in Belgien, in Frankreich, in den skandinavischen Ländern. Aber auch Intellektuelle, die (noch) im Lande warten hätten können, hielt es nicht mehr länger, war doch der Untergang der Demokratie, der Sieg des Austrofaschismus besiegelt. Stefan Zweig, der sich bisher nach Möglichkeit aus allen politischen Konflikten herausgehalten hatte, um sich's mit keiner Partei zu verderben, floh als erster: aus Salzburg nach London, aus London nach New York, aus New York nach Petropolis, schließlich in den Tod. Robert Neumann, Paul Frischauer, Hilde Spiel und andere emigrierten nach England, Ferdinand Bruckner und Manés Sperber, dieser auf dem Umweg über Jugoslawien, kamen nach Paris, Ernst Fischer fuhr schließlich nach Moskau.

Viele, die in der Heimat blieben, konnten sie nicht mehr als ihr Zuhause betrachten. "In Wahrheit hat mein 'Exil' schon damals, im Februar 1934, begonnen", notierte später Ludwig Ullmann in seiner (noch immer unveröffentlichten) Autobiographie. (Hausjell 1997, 368) Ähnliches empfanden Horvàth und Csokor; "wir beide", schrieb letzterer 1935 an Bruckner, der bereits außer Landes war, "sind eigentlich schon Emigranten des Landes, darin wir wohnen". (Csokor 1993, 115) Während Gottfried Bermann Teile seines S. Fischer-Verlags noch nach Wien übersiedelte, um die inkriminierten 'Asphaltliteraten' dort in Sicherheit zu bringen, warnte Karl Tschuppik eindringlich schon vor der Möglichkeit, auch in Österreich könnte man "wieder durch Ströme von Blut waten" und einmal "unter Ruinen von neuem beginnen müssen". (Tschuppik 1982, 267) Es gab wohl noch Nischen, in denen sich der Widerstand sammeln konnte, obwohl die Mai-Verfassung die Zensur wieder eingeführt hatte. Die bekanntesten, oft zu einem Mythos hochstilisiert: die Wiener Kleinkunstbühnen. Sie benötigten keine Konzession, solange sie vor nicht mehr als 49 Zuschauern spielten. Sie nahmen emigrierte deutsche Schauspieler auf. Sie ermöglichten weiterhin die Pflege der in Deutschland zerschlagenen jüdischen Theaterkultur. Aber was sie präsentierten, war in den seltensten Fällen tatsächlich oppositionelles Alternativtheater. (vgl. Mayer 1997) Als Alternative, als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus stellte sich der Ständestaat selbst dar.

Februar 1934 zeigen
Februar 1934 zeigen
Bermann Fischer, Gottfried zeigen

Der nach eigener Definition 'zweite deutsche Staat' unterstellte, die Österreicher seien die 'besseren Deutschen' (Amann 1992, 13); die kulturpolitischen Maßnahmen orientierten sich indessen weitgehend an den nationalsozialistischen Vorbildern. Trotzdem, viele Autoren sahen auch nach den Ereignissen von 1934 keinen Anlass, das Land zu verlassen oder auch nur sich kritisch zu äußern. Hermann Broch hielt sich ebenso bedeckt wie Robert Musil, der am "Mann ohne Eigenschaften" arbeitete, Elias Canetti schrieb seinen Roman "Die Blendung", Egon Friedell seine "Kulturgeschichte des Altertums". Nicht allein die katholischen, auch jüdische Autoren bekannten sich ausdrücklich zum Austrofaschismus (vgl. Achberger 1994), dessen Literaturpolitik namentlich von Guido Zernatto geprägt wurde: Franz Werfel, Felix Braun, Ernst Lothar, bekanntlich auch Kraus und Roth unterstützten den Dollfuß-Kurs, den Viktor Frankl in der Zeitschrift "Der Christliche Ständestaat" umständlich verteidigte, indem er die österreichische als eine christliche Politik vorsichtig vom italienischen Faschismus, scharf dagegen vom deutschen Nationalsozialismus abgrenzte. (Der Christliche Ständestaat 2, 1935, Nr. 33, 789 ff.) Wie auch immer - sei es, dass sie nicht sehen konnten, sei es, dass sie nicht sehen wollten, was vorging - die meisten Autoren, auch die unmittelbar betroffenen, reagierten nicht oder bestenfalls sehr zurückhaltend auf die Warnung Ernst Kreneks, die sogenannte "moderne" Richtung in den verschiedenen Künsten könnte in Österreich nicht anders als in Deutschland mehr und mehr "ziemlich generell, ohne Ansehung von Person und Sache" übergangen und zuletzt ganz zurückgedrängt werden; vielleicht wirkte der Umstand beruhigend, dass auch Kreneks hellsichtige Analyse, "Zwischen "Blubo" und "Asphalt"", immerhin noch erscheinen durfte. (Der Christliche Ständestaat 2, 1935, Nr. 22, 520 f.)

Dollfuß, Engelbert zeigen
Krenek Ernst zeigen
Canetti, Elias zeigen

S. 2/7 vorherige Seite - nächste Seite

  

IMPRESSUM | 2002 © UNIVERSITÄT SALZBURG