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KAPITEL

1. Überblick über die Situation der österreichischen Exilforschung
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2. Die Jahre 1933 und 1934
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3. Politische Orientierung der Exilanten nach der Massenemigration 1938
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4. Das "andere Österreich" - die Kontroverse zwischen Lothar und Viertel
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5. Anhang
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Johann Holzner:
Österreichische Literatur im Exil


Lothars Essay Zum Thema Österreich, den die "Austro-American Tribune" 1944 veröffentlicht, entwirft eine groß angelegte Imagination des künftigen kulturellen Lebens in Mitteleuropa, allerdings entwickelt aus Leitbildern, die ihre Bindungen an den Habsburg-Mythos wie an Richtlinien des Ständestaates nicht verleugnen können. (vgl. Roessler/Kaiser 1989) Denn Lothars Ausgangspunkt ist die alte Frage nach den Unterschieden zwischen der deutschen und der österreichischen Kultur; sie sind für ihn eklatant. Schon in der Sprache, wobei auf der einen Seite Goethe, Fontane und Thomas Mann, auf der anderen Seite Stifter, Grillparzer und Hofmannsthal als Kronzeugen bemüht werden. Geradezu "grundverschieden" sind Österreich und Deutschland, nach Lothar, in der "Gefühls- und Seelenhaltung", was er auf den Einfluss der Landschaft, aber auch des Katholizismus zurückführt, sowie in der "Geisteshaltung"; während die deutsche Kultur national orientiert sei, wirke die österreichische Kultur übernational, während der deutsche Kulturbegriff mit dem "Machtbegriff" zusammenhänge, stehe der österreichische Kulturbegriff dem "Andachtsbegriff" nahe. - Aus solchen nicht weiter begründeten, nicht weiter begründbaren Setzungen zieht Lothar die Schlussfolgerung, dass Österreich, ein neutrales Österreich, in einer neuen europäischen Ordnung, eine Schlüsselrolle zu übernehmen hätte. Wien sollte, nach Lothars Vorstellungen, statt Genf zur Völkerbundstadt werden und endlich auch Berlin als Kulturhauptstadt des deutschen Sprachraums ablösen.

Viertels Erwiderung, die unter dem Titel "Austria Rediviva" im Jänner 1945 erscheint, ebenfalls in der "Austro-American Tribune", zerpflückt diese "Kulturphantasien" Lothars schonungslos. Sie weist zunächst einmal alle Grenzziehungen innerhalb des Bereichs der deutschsprachigen Kultur zurück, geht im folgenden aber weit darüber hinaus und hält fest, dass sich alle Intellektuellen am demokratischen Neuaufbau in Mitteleuropa solidarisch beteiligen müssten und dass dabei in Österreich nicht anders als in Deutschland harte Arbeit zu leisten wäre. Was Viertel vorschwebt, ist eine radikale Revision der Überlieferung, im kulturellen Raum wie im politischen.

"Es geht nicht um die Fortführung der Salzburger Festspiele und um den wieder eingerenkten Fremdenverkehr [...]. Auch nicht darin, daß Wien zum Sitz des Völkerbundes wird, sehe ich die entscheidende Glückschance Österreichs: sondern in seiner Erneuerung vom Fundament, vom Selbstgefühl des Volkes her; in seiner wirtschaftlichen Konsolidierung in einem konsolidierten Europa; und von allem Anfang an in der kritischen Wachsamkeit gegenüber den Einflüssen seiner allzu historischen Vergangenheit". (zit. nach Roessler/Kaiser 1989)

Viertel, Berthold zeigen

Anders als Lothar tritt Viertel ausdrücklich dafür ein, das gesamte geistige Erbe und gerade auch das bis in die Zeit des Exils hochgeschätzte und kanonisierte kritisch zu durchforsten, um endlich die nötigen Vorbedingungen für eine Humanisierung Mitteleuropas zu schaffen.

Lothar, Ernst zeigen
Viertel, Berthold zeigen

"(...) damals für einen jüdischen Flüchtling aus Deutschland eine seltsame, vielleicht abwegige Entscheidung, sein Leben gerade dem Studium der deutschen Literatur zu widmen. Aber man hat wohl meist (nicht notwendigerweise und nicht immer) zur Dichtung in seiner Muttersprache eine besonders innige Beziehung". (Eichner o. J. [Typoskript, 8])

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