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KAPITEL

1. Klassisches Exilland - Mythos und Realität
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2. Zur Asylpolitik der Schweiz
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3. "Das Boot ist voll". Maßnahmen gegen unerwünschte Flüchtlinge
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4. Asylgewährung
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5. Hilfsorganisationen
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6. Die Internierung von Flüchtlingen
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7. Paul Grüninger
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8. Österreichische Exilantinnen und Exilanten in der Schweiz
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9. Transitland Schweiz
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10. Vom Leben im Schweizer Exil
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11. Das Zürcher Schauspielhaus
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12. Rückkehr
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13. Anhang
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Ulrike Oedl:
Exilland Schweiz


Das Asylrecht war in der Regel politischen Flüchtlingen vorbehalten. (vgl. auch zu den folgenden Ausführungen: Hoerschelmann 1995) Über ihre Anerkennung entschied die Bundesanwaltschaft. Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten, Pazifisten und parteilose Intellektuelle fanden Aufnahme, Kommunisten wurden als nicht "asylwürdig" eingestuft. Ihnen allen war politische Betätigung streng untersagt. "Rassische Verfolgung" galt nicht als Asylgrund, womit jüdischen Flüchtlingen die Anerkennung als politische Flüchtlinge und ein längerer Aufenthalt fast immer verwehrt blieb. Auch die äußerst restriktiven Aufenthaltsbestimmungen und ein rigoroses Arbeitsverbot hielt der Zahl der Flüchtlinge relativ gering. Die Behörden handelten nach der Doktrin vom "Transitland" Schweiz, das heißt, Flüchtlingen sollte in der Regel nur so lange Aufenthalt gewährt werden, wie sie zur Organisation ihrer Weiterreise in ein anderes Exilland benötigten. Dauernder Aufenthalt war, so der übereinstimmende Tenor der Politik, nicht vorgesehen.

Die Wurzeln für diese Politik sind in einer seit der Jahrhundertwende geführten "Überfremdungsdebatte" zu finden. Sie hatte bereits während des Ersten Weltkrieges und während der Zwanzigerjahre eine Verschärfung der Ausländergesetzgebung zur Folge. Konfrontiert mit einem durch politische Umbrüche, wie z. B. die Russische Oktoberrevolution, verursachten Massenflüchtlingsproblem, aber auch mit Kriegsgewinnlern, die von der Schweiz aus ihre zweifelhaften Geschäfte zu tätigen beabsichtigten, begann man die Asylpolitik zu überdenken. Auch kam es als Folge der Weltwirtschaftskrise in der Schweiz - wie übrigens auch in Österreich - unter dem Vorwand, den heimischen Arbeitsmarkt und seine Arbeitnehmer zu schützen, zu einer Reihe von fremdenfeindlichen Verordnungen, die sich hier wie dort mit latentem Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit verhängnisvoll verbanden.

Unter der Leitung von Dr. Heinrich Rothmund wurde im Jahr 1917 die Fremdenpolizei ins Leben gerufen und damit eine Neuorientierung in der Schweizer Asylpolitik begründet. War bis dahin die Ausländer- und Asylpolitik im Kompetenzbereich der souverän agierenden Kantone gelegen, so versuchte die Fremdenpolizei diese in zähen Auseinandersetzungen in den Entscheidungsbereich des Bundes zu bringen. In den folgenden Jahren wurden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Ausländer restriktiv - mit dem Versuch, den Fremdenverkehr davon unbehelligt zu lassen - geregelt. Unter dem Diktat der Überfremdungsdebatte und wirtschaftlicher Interessen kam es zur Festlegung von Aufnahmekriterien: Als "unerwünscht" galten von nun an, neben den Kriminellen, auch "Anarchisten", "Bolschewisten" und "Kommunisten". Neben diesem politischen Aspekt wurde mit der Abwehr "wesensfremder" Ausländer wie "Zigeunern, Slawen oder Ostjuden" die rassistische Komponente dieser Gesetzgebung deutlich. Die rechtlichen Grundlagen, die den österreichischen Flüchtlingen ab 1938 gegenüber in so fataler Weise wirksam werden sollten, wurden also bereits zwischen 1918 und 1933 durch die Fremdenpolizei erarbeitet. Die Weltwirtschaftskrise in den Zwanzigerjahren verstärkte zudem die Angst vor wirtschaftlicher und beruflicher "Überfremdung", der Schutz des Arbeitsmarktes stand im Zentrum fremdenpolizeilicher Tätigkeit. Das wurde auch noch in den Verordnungen von 1933 berücksichtigt, die die Grundlage für die Asylbestimmungen der Schweiz während der deutschen Naziherrschaft bis 1945 bilden sollten und die als direkte Reaktion auf den zu erwartenden Flüchtlingsstrom aus Deutschland zu verstehen sind. Und obwohl den Verantwortlichen die Lebensgefahr, in der die Flüchtlinge sich befanden, ganz deutlich bewusst war, war man nicht bereit, von den von rassistischen Vorurteilen geprägten Verordnungen abzurücken:

"Wer könnte angesichts des menschlichen Elends, das in unzähligen Einzelfällen vor uns steht, unberührt bleiben! Ich brauche das nicht auszuführen. Verlieren wir uns aber nicht in Sentimentalitäten. Wir haben eine große Verantwortung auf dem Buckel. Wollen wir, daß die Überfremdung, der wir in den letzten Jahren doch mit einigem Erfolg entgegengetreten sind, heute wieder zunimmt? Und dazu noch durch fast durchwegs artfremde Elemente? Ich denke, daß wir einhellig dagegen auftreten wollen." (Heinrich Rothmund; zit. nach Hoerschelmann 1995, 20)

Bis zum Juli 1944 weigerten sich die Schweizer Behörden, Juden den Status eines politischen Flüchtlings zuzuerkennen, die akute Lebensgefahr, in der sie sich befanden, stellte keinen ausreichenden Grund für eine Einreiseerlaubnis dar. Die Schweiz war freilich nicht das einzige Land Europas, das seine Grenzen gegen Flüchtlinge aus dem faschistischen Deutschland abdichtete. Dagegen halfen auch die Bemühungen des 1920 gegründeten Völkerbundes, der angesichts der durch den Ersten Weltkrieg hervorgerufenen Flüchtlingsbewegungen eine eigene Kommission dafür eingerichtet hatte, wenig.

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