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KAPITEL

1. Klassisches Exilland - Mythos und Realität
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2. Zur Asylpolitik der Schweiz
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3. "Das Boot ist voll". Maßnahmen gegen unerwünschte Flüchtlinge
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4. Asylgewährung
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5. Hilfsorganisationen
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6. Die Internierung von Flüchtlingen
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7. Paul Grüninger
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8. Österreichische Exilantinnen und Exilanten in der Schweiz
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9. Transitland Schweiz
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10. Vom Leben im Schweizer Exil
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11. Das Zürcher Schauspielhaus
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12. Rückkehr
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13. Anhang
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Ulrike Oedl:
Exilland Schweiz


Ein Charakteristikum der Schweizer Asylpolitik war die Unterbringung von mittellosen Flüchtlingen in Lagern. Seit dem März 1940 wurde ein Großteil der Flüchtlinge, die bis dahin privat untergebracht waren, in Lagern interniert. Durch die bessere Kontrollierbarkeit der Internierten konnten diese leichter von politisch, militärisch oder fremdenpolizeilich unerwünschten Tätigkeiten abgehalten werden. Die Internierung erfolgte allerdings auch unter einem volkswirtschaftlichen Kalkül, durch den Wehrdienst der Schweizer Männer gab es einen gewissen Arbeitskräftemangel vor allem im Bereich der Landwirtschaft und des Straßenbaues. Zu diesen Arbeiten wurden alle arbeitsfähigen Emigranten und Flüchtlinge zwischen dem 20. und dem 60. Lebensjahr herangezogen. Frauen mussten die Haushaltsarbeiten innerhalb der Lager, wie Nähen, Flicken und Waschen übernehmen. Diejenigen, die als "arbeitsuntauglich" eingestuft wurden, wie Frauen und Männer über 60, Frauen mit kleinen Kindern, Jugendliche oder Kranke, wurden außerhalb der Lager in Pensionen, Hotels oder privat untergebracht.

Obwohl das Leben in den Lagern durch die Bestimmungen der Zentralstelle für Arbeitslager unter der Leitung von Otto Zaugg reglementiert wurde, gab es äußerst unterschiedliche Erfahrungen, hing es doch von den menschlichen Qualitäten der Lagerleitung ab, wie dieses Reglement ausgelegt und gehandhabt wurde. Die Lager wurden nach Geschlechtern getrennt geführt, Ehepaare und Familien wurden getrennt, für viele nach den traumatischen Erlebnissen der Flucht eine besondere Belastung. Auch der Mangel an Privatsphäre, harte Arbeit und oft schlechtes Essen belasteten das Zusammenleben der sich ohnedies in einer psychischen Ausnahmesituation befindlichen Internierten. Außerdem bestand das Gebot des Transits für die Flüchtlinge weiterhin, ihre Zukunft war weithin ungesichert.

Wenigstens gab es ab dem März 1941 für alle Arbeitsdienstpflichtigen die Möglichkeit zu einer beruflichen Aus- und Weiterbildung, in erster Linie wurden dabei Kurse zu handwerklichen Berufen (Tischler, Schuster, Schneider, Metallarbeiter), die bei der Auswanderung nützlich sein konnten, angeboten.

Daneben gab es "Sonderlager für politische Flüchtlinge", hier wurden vor allem Kommunisten und einige Sozialdemokraten interniert. Das erste dieser Sonderlager wurde 1941 in Malvaglia, im Tessin, errichtet. Von dort wurde das Lager nach Gordola im Tessin und schließlich nach Bassecourt im Jura verlegt. Durch das Entgegenkommen des Lagerleiters Max Frösch, der sich den Flüchtlingen gegenüber wohlwollend verhielt, konnte der politische Diskurs aufrecht erhalten werden. Die Unterbringung in diesem Lager bedeutete, entgegen der bundesrätlichen Intention, für die Internierten einen gewissen politischen Aktionsradius. So gelang es trotz des herrschenden strengeren Reglements für Sonderlager, wie Briefzensur und vorübergehende Urlaubssperre, den Kontakt nach außen aufrecht zu erhalten. Die deutsche kommunistische Partei verlegte, ihre jahrelange Erfahrung in konspirativer Arbeit nutzend, auch die Gesamtleitung der Partei in dieses Lager. Wie bereits erwähnt, wurde Personen, die glaubhaft machen konnten, in ihrem Herkunftsland nicht nur aus "rassischen" Gründen politisch verfolgt worden zu sein, Schutz gewährt. In den Jahren der NS-Herrschaft erhielten von 300.000 Personen, die sich meist vorübergehend in der Schweiz aufgehalten haben, nur 251 den Status "politischer Flüchtling", 60 davon waren Österreicher. Durch das Verbot jeder politischen Betätigung war ihre Lage sehr erschwert. Schon das Votum für Österreich stellte einen neutralitätswidrigen Akt dar, hatte doch die Schweiz den "Anschluss" Österreichs bereits nach einem Bundesratbeschluss vom 18. März 1938 offiziell zur Kenntnis genommen. Daran änderte auch die Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 nichts. Dieses Eintreten für ein unabhängiges Österreich nach dem Ende des Krieges führte auch zu Spannungen zwischen österreichischen und deutschen Kommunisten, die den "Anschluss" Österreichs an Deutschland positiv bewerteten.

Die - trotz aller Beschränkungen - aktivste politische Gruppe in der Schweiz waren die Kommunisten, sie versuchten mit Flugblattaktionen und Tarnschriften in Deutschland wirksam zu sein. Die Kommunisten wurden seitens der Schweizer Behörden besonders gründlich überwacht. Die Schweizer Sozialdemokraten hatten im Gegensatz zu den Schweizer Kommunisten 1935 durch Bejahung der Landesverteidigung und den Verzicht auf die Errichtung einer proletarischen Kultur zu einer Verständigung mit den bürgerlichen Parteien gefunden. Die Schweizer kommunistische Partei hingegen wurde am 27.11. 1940 unter Berufung auf das Neutralitätsprinzip verboten, nicht zuletzt wegen ihres antifaschistischen Engagements, das auch eine Unterstützung der österreichischen und deutschen Kommunisten im In- und Ausland mit einschloss. Dieses Verbot hatte auch weitreichende Auswirkungen auf die politisch aktiven Flüchtlinge, die Schweizer Gesinnungsgenossen waren ebenfalls in die Illegalität gedrängt und konnten keinerlei Schutzfunktion mehr übernehmen.

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