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KAPITEL

1. Die politische Natur und Tradition des Widerstandsbegriffs
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2. Positives Recht und Naturrecht
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3. Die romantische Frage nach dem Widerstand der Poesie
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4. Fragwürdige Darstellbarkeit des Zeitgenossen
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5. Parallelität von politischer und ästhetischer Neuorientierung
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6. Weltanschauliches Engagement und ideologische Skepsis
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7. Nachkriegssituation
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8. Differenz und Übereinstimmung zwischen Exil- und Widerstandsliteratur
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Literatur und Widerstand


Unvermeidlich stellt sich immer von neuem die Frage: Ist der gemeinsame Nenner der ?Flüchtlingsliteratur? nur das Exil oder auch die gemeinsame Gegnerschaft zu Hitler? Die Motive der einzelnen Schriftsteller zu emigrieren, waren sehr verschieden. Manche hatten vorwiegend politische Gründe, andere mussten den Nürnberger Rassegesetzen weichen. Avantgardistische Künstler hatten von dem neuen Regime nichts Gutes zu erwarten. Neben der ?äußeren? Emigration entsteht eine ?innere? von Schriftstellern, die mit Schreib- und Publikationsverbot belegt sind oder für die Schublade schreiben. Daneben gibt es Versuche, auch öffentlich in verdeckter Form, durch Gebrauch einer ?Sklavensprache?, gegen die Machthaber literarisch Stellung zu nehmen. Vom Empirischen her ist die Beantwortung der gestellten Frage recht verwickelt, waren ja die ersten Jahre des Exils gekennzeichnet von einer ?tiefe[n] Ratlosigkeit?, in der die existentiellen Sorgen oft überwogen und die Umorientierung durchaus ?widerspruchsvoll? verlaufen konnte (Mittenzwei 1989, 144). Und die Äußerungen der Emigranten selbst sind nicht immer platt für bare Münze zu nehmen. So z. B. heißt es in dem "Österreichischen Emigrantenlied" Ernst Lothars 1939:

Wir haben Bücher geschrieben Und Menschen gesund gemacht, Wir sind bei den Fahnen geblieben Und wurden trotzdem vertrieben, Bestohlen, gequält und verlacht. (Breycha-Vauthier 1962, 89 f.)

Das scheint die These zu belegen, dass die Exilliteratur überwiegend durch die Exilsituation, weniger durch den Antifaschismus bestimmt ist. Denn Unschuldige sind es hier, Leute, die den Nationalsozialisten eigentlich nichts getan haben, die trotzdem vertrieben worden sind. Man darf aber nicht übersehen, dass Ernst Lothar das offenbare Unrecht, das ?unschuldigen? Menschen angetan wurde, polemisch gegen das faschistische Regime wendet. Er stilisiert in agitatorischer Absicht das Bild der Unschuldig-unter-die-Räder-Gekommenen. Freilich könnte man fragen, ob eine derartige Kritik am Nationalsozialismus nicht zu kurz greift, ob nicht gerade die ?Schuldlosen? am Entstehen und Triumph des Nationalsozialismus schuldiger sind als die, die ihn bekämpft haben - mit all ihren Fehlern. Dennoch beruht die Wirksamkeit der Stilisierung, die Lothar anwendet, auf einem wesentlichen Zug des NS-Systems, dem totalitären.

Dem steht freilich der Umstand gegenüber, dass sich die Mehrzahl der österreichischen Autoren im Exil sehr wohl als Antifaschisten ? trotz verschiedener politisch-ideologischer Ausrichtung ? verstanden und dies in Texten, meist aber in Briefen wiederholt einbekannt haben, man denke, neben den bereits erwähnten Beispielen nur an den Briefwechsel zwischen F. Bruckner und Franz Theodor Csokor, an die intensive Mitarbeit österreichischer Autoren an antifaschistischen Plattformen und Zeitschriften (B. Viertel, O. Kokoschka, E. E. Kisch, J. Roth, E. Freundlich u. v. a.), an Entscheidungen, Österreich bereits vor 1938 aus politischen Gründen (Ekel vor bzw. Gegnerschaft zum Austrofaschismus/Nationalsozialismus) zu verlassen, wie dies bei Stefan Zweig oder Hilde Spiel der Fall war.

Wollte der Nationalsozialismus die ehrgeizigen Ziele seiner finanzkapitalistischen Auftraggeber erreichen, musste er die Kräfte der Bevölkerungen Deutschlands und Österreichs aufs Äußerste anspannen. Der kleine Mann sollte, wie Bert Brecht einmal bemerkte, für die deutschen Konzerne die Welt erobern, um die Butter aufs Brot zu erhalten. Mit den Möglichkeiten, die die moderne Großproduktion und eine entwickelte Bürokratie ihm boten, praktizierte der Nationalsozialismus in einem bisher unerhörten Ausmaß das Prinzip ?Wer nicht für mich ist, ist gegen mich?. Die kriegswirtschaftliche Notwendigkeit mystifiziert sich in der Vorstellung von Adolf Hitler, der sich subjektiv über die Illusionen der Massen erhaben glaubte, zu folgendem Erguss:

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