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KAPITEL

1. Die politische Natur und Tradition des Widerstandsbegriffs
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2. Positives Recht und Naturrecht
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3. Die romantische Frage nach dem Widerstand der Poesie
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4. Fragwürdige Darstellbarkeit des Zeitgenossen
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5. Parallelität von politischer und ästhetischer Neuorientierung
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6. Weltanschauliches Engagement und ideologische Skepsis
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7. Nachkriegssituation
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8. Differenz und Übereinstimmung zwischen Exil- und Widerstandsliteratur
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Literatur und Widerstand


Zunächst galt es, sich nach neuen Verbündeten umzusehen und die Tradition kritisch darauf hin zu sichten, was den Faschismus ideologisch vorbereitet hatte, was in Gegnerschaft zu ihm sich begriff und was ihm schließlich zu widerstehen vermochte. Da der Faschismus vielen seiner Gegner als der zur Realität gewordene Begriff jener Mächte erschien, die alles Streben der Menschen nach einem besseren Leben niederdrücken und irreleiten, war ihnen der Kampf, ihn niederzuwerfen, von vornherein mit der Hoffnung eines entscheidenden Fortschritts der Humanität und Gesellschaft verknüpft. Zugleich musste die Niederlage, die man erlitten hatte, bei allen demokratischen Gruppierungen zu einer mehr oder minder kritischen Revision ihres bisherigen Verhaltens führen. Das ist der Hintergrund der großen Literaturdebatten des Exils.

An allen großen Wenden der Literatur- und Kunstentwicklung, in denen der Kanon der etablierten Kunstgattungen und Gestaltungsmittel einer durchgreifenden Neubestimmung unterzogen wurde, wird geltend gemacht, dass die Kunst doch letzten Endes aus der Natur, aus dem Leben zu schöpfen habe. Die herrschenden ästhetischen Normen, in deren Erfüllung die Kunst ein vom gesellschaftlichen Leben scheinbar unabhängiges Dasein gewinnen konnte, werden entlarvt als Ideologeme der jeweils herrschenden Kreise. So verhielt es sich im Aufruhr Lessings und des "Sturm und Drang" gegen die französisierte Adelskultur der deutschen Fürstenhöfe, so in der Rebellion des "Jungen Deutschland" gegen das Biedermeier der Restaurationsperiode, so verhält es sich auch heute und immer dort, wo sich kulturelle Opposition zu Wort meldet.

Die "Vollkommenheitstheorien" der Aufklärung, nach denen die Kunst nur ein verworrener Ausdruck dessen sei, was nur die Philosophie, das reine Denken, klar und deutlich (Descartes' hat dafür die Begriffe "clare et distincte" verwendet) zu fassen verstehe, setzten freilich die Kunst zu einer unvollkommenen Vorstufe der Erkenntnis herab. Einen Vorzug hat aber diese vergleichsweise nüchterne Auffassung der Kunst vor allen Theorien der so genannten "poésie pure" (reinen Poesie): dass sie nämlich der Kunst eine, wenn auch zu unselbständige Rolle im Prozess der Erkenntnis zuweist, statt sie zu einem Mittel herabzusetzen so die Vorstellung von Adolf Hitler -, den "Massen Illusionen zu bringen" (vgl. Müller-Mehlis 1976, 197 f.). Der Rückgriff auf das Erbe der Aufklärung erfolgt in bewusster Abgrenzung vom faschistischen Mythos; an den letztlichen Sieg der Vernunft glauben der in der Todeszelle schreibende Arbeiter Franz Sachs ebenso wie der bürgerliche "Großschriftsteller" Stefan Zweig.

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