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KAPITEL

1. Palästina/Israel - ein "Exilland"?
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2. Moshe Ya'akov Ben-Gavriêl
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3. Meir Marcell Faerber
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4. Simon Kronberg
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5. Max Brod
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6. Max Zweig
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7. Leo Perutz
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8. Anna Maria Jokl
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9. Elazar Benyoëtz
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10. Anhang
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Armin A. Wallas:
"Exilland" Palästina/Israel


Palästina/Israel unterscheidet sich gravierend von allen übrigen Ländern, in denen Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland Zuflucht fanden. "Erez Israel", das "Land Israel", ist untrennbar mit jüdischer Geschichte und Religion verbunden. In den Jahrhunderten der Diaspora, der Zerstreuung der Juden nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Römer im Jahre 70 n. Chr., richtete sich die Zukunftshoffnung der Juden immer wieder auf eine Rückkehr in das "heilige Land". Religiös begründet, drückt sich diese Hoffnung jedes Jahr beim Pessachfest - dem Fest zur Erinnerung an den Exodus des Volkes Israel aus Ägypten - aus. Und zwar im Wunsch: "Nächstes Jahr in Jerusalem". Die Diaspora wurde vielfach als Exil, als Verbannung (Galut), als Ort der Fremdheit und Nichtzugehörigkeit erlebt, immer wieder bedroht von antisemitischen Anfeindungen, Verfolgungen und Pogromen.

Im Zuge der im 19. Jahrhundert entstandenen politischen Bewegung des Zionismus wurden konkrete Schritte unternommen, das "Land Israel" für das Judentum zurück zu gewinnen, und zwar durch diplomatische Verhandlungen mit den Großmächten, Siedlungstätigkeit in Palästina, Erneuerung der hebräischen Sprache etc. Betrachtet man die Situation der jüdischen Einwanderer in Palästina/Israel, so relativiert sich der Begriff "Exil". Der Entschluss zur Einwanderung konnte aus unterschiedlichen Motiven gefasst werden. Einwanderer, die aufgrund ihrer zionistischen Überzeugung nach Palästina gelangt waren, sahen in ihrem neuen Wirkungsort kein 'Exil', sondern eine "wiedergefundene Heimat". Andererseits kamen viele der nach 1933 zugewanderten Juden eher zufällig nach Palästina, auf der Suche nach einem Zufluchtsort, um der nationalsozialistischen Verfolgung zu entkommen.

Die Problematik des "Exil"-Begriffs wird deutlich, wenn man die zionistische Weltanschauung betrachtet. Jüdische Einwanderer werden als "Olim" (= Aufsteigende), die Einwanderung selbst als "Alija" (= Aufstieg) bezeichnet. Im Begriff "Alija" verbindet sich die religiöse Dimension einer Höherentwicklung der Persönlichkeit mit der politischen Dimension der Immigration nach Palästina/Israel. Andererseits gelten Juden, die aus dem jüdischen Staat auswandern, als "Jordim" (= Absteigende). Nach zionistischer Auffassung gilt demnach das jüdische Leben in den Ländern der Diaspora als "Exil", die Alija hingegen als "Heimkehr", als Rückkehr in die "altneue" "Heimat" der Juden. Demnach ist es problematisch, von Palästina/Israel als einem "Exilland" zu sprechen, vielmehr muss stets die Komplexität, ja Widersprüchlichkeit dieser Begrifflichkeit bedacht und an den jeweiligen Einzelfällen überprüft werden.

In welchen historischen Kontexten vollzog sich die Zuwanderung jüdisch-österreichischer Schriftsteller nach Palästina/Israel? Im Jahre 1882, als Palästina noch unter osmanischer Verwaltung stand, setzte die zionistische Siedlungstätigkeit ein. Die zionistische Idee entstand nicht, wie manchmal behauptet wird, als eine bloße Abwehrreaktion gegen den Antisemitismus, der sich Ende des 19. Jahrhunderts radikalisiert hatte. Vielmehr verstand sich die zionistische Idee als ein Versuch, den Juden der Diaspora ein neues Selbstbild zu vermitteln. Das eigene "Anderssein" sollte selbstbewusst, offensiv, auch kämpferisch interpretiert werden. Dem damals weitverbreiteten Assimilationsstreben - das oftmals verbunden war mit dem Verlust jüdischer Identität - wurde das Gegenbild eines selbstbestimmten Judentums entgegengestellt. Geprägt wurde der Begriff "Zionismus" von dem österreichisch-jüdischen Publizisten Nathan Birnbaum, vorbereitet wurde die Idee in den Schriften des sozialistischen Theoretikers Moses Hess (Rom und Jerusalem, 1862), des orthodoxen Rabbis und Talmudgelehrten Hirsch Zwi Kalischer (Drischat Zion = "Sehnsucht nach Zion", 1862) und des russisch-jüdischen Publizisten Leon Pinsker (Auto-Emanzipation!, 1882). Schwungkraft erhielt die Bewegung durch das Wirken von Theodor Herzl, der 1896 seine wegweisende Broschüre "Der Judenstaat" veröffentlichte, 1897 den I. Zionistenkongress in Basel einberief und die organisatorischen Grundlagen der Zionistischen Organisation schuf.

Die zionistische Immigration erfolgte in mehreren Einwanderungswellen (Alijot); die jüdische Bevölkerung Palästinas wurde als "Jischuw" (= Ansiedlung) bezeichnet. Die zionistischen Pioniere (Chaluzim) sahen sich vor große Probleme gestellt. Es galt, Land urbar zu machen, Felder zu entsteinen, Malaria verseuchte Sümpfe trockenzulegen und sich mit den im Lande lebenden Arabern zu verständigen.

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