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KAPITEL

1. Exil und Sprache
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2. Sprachwechsel - Übersicht
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3. Fallbeispiele
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4. Mehrsprachigkeit - Literarisches Übersetzen: Hilde Spiel - Paul Celan
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5. Anhang
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Primus-Heinz Kucher:
Sprachreflexion - Sprachwechsel im Exil


Während im Fall Hilde Spiels ihre langjährige Integration in die englische Kultur und ihr besonderes Interesse für das Theater geradezu zwangsläufig zu Übersetzungen englischer Dramatiker ins Deutsche führen musste, die dann in den 60er und 70er Jahren tatsächlich zustande kamen und Autoren wie James Saunders und Tom Stoppard im deutschen Sprachraum durchsetzten, war die Situation Celans von Anfang an eine komplexere und zugleich auf verschiedene Sprach- und Kulturräume bezogene, die u. a. im Kontext seiner lebenslangen Recherche nach Identitätssplittern zu sehen ist. An Reinhard Federmann ließ er z. B. 1962 einen Brief in folgender Sprachmontage ausklingen: "Pawel Lwowitsch Tselan/ Russkij poet in partibus nemetskich infedelium/ - 's ist nur ein Jud" (Celan-Federmann, 1972, 18). Ein Brief, der die gängige Sprachverortung Celans - als vorwiegend deutschsprachigen, im Frühwerk auch rumänischen Autor, dessen Werk hauptsächlich im Pariser (also französischen Exil entstanden ist) - um einiges relativiert und kompliziert.

Vergleichen Sie dazu auch unsere Porträtvorlesung zu Hilde Spiel.

Federmann, Reinhard zeigen
Federmann, Reinhard zeigen
Celan, Paul und Reinhard Federmann: Briefe zeigen
Celan, Paul zeigen
Celan, Paul zeigen
Celan, Paul zeigen
Celan, Paul: Die Todesfuge zeigen

Zu den auffälligen und faszinierenden Koordinaten des lyrischen Werks Celans zählt der Umstand, dass dieses seit den ersten erhalten gebliebenen Materialien/Notizheften, d. h. seit 1942, mehrsprachig herangewachsen ist. Mehrsprachig in mehrfachem Sinn: in mehreren Sprachen, wobei in den 40er Jahren das Deutsche und Rumänische nebeneinander standen sowie in produktiver Auseinandersetzung mit anderssprachiger Lyrik, im Übersetzen. Dabei begann es mit einer klassischen Herausforderung: mit einem Shakespeare-Sonett, das 25 Jahre später nochmals in einer eigenen Edition und zwar ganz anders, übertragen wird. (Gellhaus, 1999, 7 f.)

Zur Erinnerung: die Sprachwelt, in der Celan aufgewachsen war, war eine mehrsprachige: Deutsch als Mutter- und traumatisch erfahrene "Mördersprache" (Buck, 1993), Hebräisch, Rumänisch waren die weiteren Mutter-Vatersprachen. Hinzu kam von Kindheit an der Kontakt zum Russischen, zum Französischen und als Sprachbildungs-Erfahrungen die Begegnungen mit dem Englischen, Italienischen, Portugiesischen und - so im zitierten Brief an Reinhard Federmann - und dem Lateinischen, also eine selten tiefe Verwurzelung in den großen Sprachfamilien Europas schlechthin. Und noch etwas: wie zahlreiche Briefe belegen, etwa an Franz Wurm, an seine Frau Gisele Lestrange oder die Verlagskorrespondenz sowie verstreute Notizen, verlor Celan weder beim Schreiben der eigenen Gedichte das Übersetzen noch umgekehrt beim Übersetzen das Schreiben eigener Gedichte aus den Augen.

Bezeichnend ist daher auch der im (französisch verfassten) Testament ausgesprochene Wunsch Beda Alemann gegenüber, neben der Ausgabe der eigenen Gedichte auch eine der übersetzten Gedichte realisiert zu sehen: "Je souhait qu'une édition de mes poèmes et de mes traductions de poèsie anglaise, russe, francaise...." (zit. bei Gellhaus, 1999, 10). Die zentrale sprachliche Achse des eigenen Werks wie der Zielsprache der übersetzten Autoren blieb dabei allerdings das Deutsche.

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