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KAPITEL

1. Zum Stand der Forschung
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2. Mexiko
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3. Brasilien - Paul Frischauer, Stefan Zweig
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4. Liberaler Humanismus - politische Utopie - blutige Geschichte
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5. Alfredo Bauer
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6. Fritz Kalmar - Heimweh nach Österreich
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7. Trude Krakauer - Niewiederkehr
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8. Österreichische Exilschriftsteller/innen in Lateinamerika
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Zwischen Heimweh und neuer Erkenntnis - Österreichische Exilliteratur in Lateinamerika


Es versteht sich von selbst, dass einige der Schriftsteller/innen im lateinamerikanischen Exil mit ihren Herzen und Gedanken in Europa, in Österreich geblieben sind. So beschreibt der in Montevideo lebende Fritz Kalmar in seinem Buch "Das Herz europaschwer. Heimwehgeschichten aus Südamerika" (Wien 1997) eine Österreicherin, die es nach Asunción in Paraguay verschlagen hat und die überall Österreichisches findet: Ein kahler Hügel nahe der Stadt wird ihr so zum Kahlenberg bei Wien, und die aus Brettern gezimmerte Erfrischungsbude, die auf ihm steht, wird ihr zum Wiener Heurigenlokal. Das sonntägliche, rucksackbepackte Hinauswandern aus der Stadt wird übrigens - Alfredo Bauer erwähnt es - zu einer von den Exilierten übernommenen neuen Mode der lateinamerikanischen Jugend. Auch Fritz Kalmar, der seine heimwehkranken Leidensgenossen mit Liebe, aber auch mit einem Lächeln schildert, ist nicht frei von dieser Krankheit:

Fritz Kalmar, geboren 1911 in Wien, flüchtete 1939 nach Bolivien und lebt seit 1953 in Montevideo (Uruguay). Von Theaterleidenschaft besessen, war er Mitbegründer, Schauspieler und Autor etlicher Exiltheater. (vgl. Bolbecher, Kaiser 2000, 358 f.)

Kalmar, Fritz zeigen

"Ich darf mich nicht beklagen über das Schicksal. Natürlich leide ich immer noch darunter, nicht in Wien zu leben; das tut weh. Aber in Uruguay sind die Menschen offenherzig und ungemein hilfsbereit. Ich habe eine urugayische Familie gefunden, die ich meine zweite Familie nenne. Ein Ehepaar mit vier Kindern. Das ist eine enorme Erleichterung, um das Gefühl des Hängengebliebenseins auszuhalten. So bemühe ich mich eben, jedes Jahr einmal nach Wien zu kommen und ein paar Wochen hier zu sein, bei meiner Familie und in meiner Heimat." (Zit. nach: Hörtner 1997, 10)

Kalmar, Fritz erzählt zeigen

Die Zuneigung zu Wien hindert Kalmar jedoch nicht, sich mit der 'Vergangenheitsbewältigung', wie sie in Österreich betrieben wird, sehr kritisch auseinanderzusetzen. Im Jahre 2000 ist in Wien seine Erzählung "Das Wunder von Büttelsburg" erschienen. Das ist die Geschichte eines Sarges, in dem ein vormaliger jüdischer Mitbürger ruht. Der Sarg, in dem er schließlich doch heimkehrt, lässt sich, einmal niedergesetzt, nicht mehr von der Mitte des kleinstädtischen Hauptplatzes rücken. Das für wenige feierliche Minuten inszenierte Gedenken schlägt in eine nicht endende Selbstbefragung um, Verdecktes kommt hoch, Schuldzuweisungen ersetzen Erkenntnisse. Am Ende triumphiert neuerlich die Selbstzerstörung des Gemeinwesens. Offenbar hat es Fritz Kalmar auf uns abgesehen. Derselbe Kalmar hat als österreichischer Honorarkonsul in Montevideo politisch verfolgten Uruguayanern in den 1970er Jahren vielfach geholfen: Selbst einst vertrieben, solidarisierte er sich mit denen, die nun aus Uruguay flüchten mussten, um ihr Leben zu retten.

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