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KAPITEL

1. Die literarische Bedeutung Berthold Viertels
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2. Jüdische Herkunft
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3. Jugendlicher Ausbruchsversuch und Rückkehr
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4. Berthold Viertel und Karl Kraus
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5. Republikanismus, Weimarer Republik
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6. Theaterkonzeption, Kultur und Zivilisation, Rotes Wien
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7. Berthold Viertel und der Sozialismus
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8. Die Stellung zur Österreich-Frage
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9. Literarische Strategien
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10. Das Verhältnis zum Exil
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11. Die Stellung innerhalb des deutschsprachigen Exils in den USA
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12. Die Nachkriegssituation
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13. Der "Reichskanzleistil"
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14. Die spätere Theaterauffassung
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15. Zur Rezeption des literarischen Werks
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16. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Berthold Viertel (1885-1953)


Viertel hat individuell lange dagegen angekämpft, in eine Exilsituation zu geraten. Wohl hatte er 1914 als einrückender Reservist Wien "für immer" verlassen, wohl hatte er im Februar 1928 die Überfahrt nach Amerika angetreten. Doch im Juli 1932 kehrte er nach Europa zurück, verhandelte in Paris mit Alexander Korda über Filmprojekte, besuchte den gelähmten Vater in Wien, Salkas Bruder Eduard Steuermann in Millstatt (Kärnten), verhandelte in Berlin mit der "Europa-Film". Seine verschleppte Zuckerkrankheit machte einen Sanatoriumsaufenthalt in Wien notwendig, den er abbrach, um in Berlin an dem Film "Kleiner Mann - was nun?" nach Hans Fallada (mit Musik von Kurt Weill und Ausstattung von Caspar Neher) zu arbeiten, ehe sich herausstellte, dass in Deutschland ein jüdischer Regisseur keine Arbeitsgenehmigung erhielt, und Viertel, Mitte Februar 1933, fluchtartig nach Prag abreiste. An Salka in Santa Monica schrieb er am 9. März aus Wien:

"Das ganze George Grosz-Album, alle Sternheim-Figuren sind in Bewegung - das marschiert mit dröhnender Musik und Flagge und trampelt die letzten Reste von Natur und Kultur nieder ... Bald werden wieder Brotkarten sein, Kriegswirtschaft, Dienstpflicht ... Das jüdische Problem wird wieder aktuell wie im Mittelalter - und wir gehören nach Palästina!"

Nach Palästina ist Viertel nie gekommen - trotz der später mit Max Brod, dem Dramaturgen des Habimah-Theaters, erwogenen Gastinszenierungen in Tel Aviv. Obwohl Viertel das Kommende in manchem voraussah, ließ er sich doch von den Stätten seiner Wirksamkeit, dem Theater und dem Film, nur ungern vertreiben. Auch bemühte er sich um die Veröffentlichung seiner Gedichte und des Romans Amalia, der freilich Fragment blieb, in österreichischen und Schweizer Verlagen. Die drei Filme, die er 1934-36 für "Gaumont British" in London drehte, ermöglichten ihm, sich für weitere Jahre in Europa zu halten. Er schloss Freundschaft mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Christopher Isherwood und lernte durch ihn die um den Almanach "New Writing" (in dem ein Teil der "Amalia" erscheinen hätte sollen) gruppierten jungen englischen Schriftsteller Wystan Hugh Auden, Stephen Spender, John und Rosamund Lehmann kennen. Mit der Schwester Lehmanns, der Schauspielerin Beatrix Lehmann, verband ihn eine Liebesbeziehung - deutliches Zeichen dafür, dass er nun der anglikanischen Welt nicht mehr nur mit Scheu und Befremden gegenüberstand.

Die Exilsituation radikalisierte sich für Viertel in dem Maße, in dem ihm die Arbeitsmöglichkeiten beim Theater und beim Film mehr und mehr entzogen wurden. Nach dem Zusammenbruch von "Gaumont British" scheiterten weitere Filmprojekte an Finanzierungsschwierigkeiten und am Entzug der Arbeitsgenehmigung. Mit der Okkupation Österreichs wurde Viertel staatenlos - er lehnte es ab, sich um einen deutschen Pass zu bemühen, erwarb 1942 die US-Bürgerschaft. Das Filmskript "Das gestohlene Jahr", das er im Sommer 1940 mit Stefan Zweig in New York verfasste, wurde zu seiner letzten Filmarbeit. (Es wurde erst 1950 in Wien mit Oskar Werner und Ewald Balser verfilmt.) Für das englischsprachige Theater inszenierte Viertel Rosamund Lehmanns "No more music" in einer Klub-Aufführung, die von den kommerziellen Theatern Londons nicht übernommen wurde, Max Cattos "They walk alone", das in London 1939 ein großer Erfolg wurde, in New York 1941 nach wenigen Tagen abgesetzt werden musste, ebenso wie "The Grey Farm" desselben Autors in New York 1940.

Es misslang Viertel, der Großbritannien Anfang Mai 1939 verlassen hatte müssen, weil seine Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlängert worden war, am Broadway Fuß zu fassen. Als Theaterregisseur sah er sich auf die von Exilierten für Exilierte veranstalteten Aufführungen verwiesen.

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