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KAPITEL

1. Die literarische Bedeutung Berthold Viertels
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2. Jüdische Herkunft
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3. Jugendlicher Ausbruchsversuch und Rückkehr
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4. Berthold Viertel und Karl Kraus
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5. Republikanismus, Weimarer Republik
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6. Theaterkonzeption, Kultur und Zivilisation, Rotes Wien
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7. Berthold Viertel und der Sozialismus
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8. Die Stellung zur Österreich-Frage
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9. Literarische Strategien
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10. Das Verhältnis zum Exil
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11. Die Stellung innerhalb des deutschsprachigen Exils in den USA
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12. Die Nachkriegssituation
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13. Der "Reichskanzleistil"
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14. Die spätere Theaterauffassung
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15. Zur Rezeption des literarischen Werks
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16. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Berthold Viertel (1885-1953)


Als Regisseur hatte Viertel 1913 in Wien an der Freien Volksbühne begonnen, die sich auf eine von der Sozialdemokratie geförderte Publikumsorganisation stützte und - unter der Leitung Stefan Grossmanns und Art(h)ur Rundts - einen Spielplan anstrebte, der zwischen dem in Wien zum Operetten-Schwank abgesunkenen Volks-Theater und dem klassizistisch erstarrten Bildungstheater, zwischen der "Unterhaltungsgier und Launenhaftigkeit des reichen Pöbels" und den "hochliterarischen Bedürfnissen der Besseren" einen Weg suchte. Im "jungen Glück, Regie führen zu dürfen und "fieberhaft eingespannt zwischen Dichtung und schauspielerischer Individualität" inszenierte Viertel Stücke von Turgenjew, Eulenberg, Strindberg, Carl Hauptmann, Sternheim, Oskar Maurus Fontana - fast alle für Wien erstmalig.

Als programmatischer Versuch, der Volksbühnenbewegung nach Berliner Vorbild in Wien zum Durchbruch zu verhelfen, begonnen, scheiterte das Projekt an inneren Zerwürfnissen, an einer zu engen Bindung an kommerzielle Erwägungen sowie an der kulturpolitischen Orientierungslosigkeit der Protagonisten. Viertels "Esoterismus, eine Art Bühnenkult" (wie er selbst im Rückblick konstatierte) wurde zumindest brüchig. An den Aufbau eines stilsicher zusammenwirkenden Ensembles war unter solchen Umständen nicht zu denken. Immerhin arbeitete Viertel in Wien mit einer Reihe von Schauspieler/innen, die nicht unbekannt blieben: Fritz Kortner, Ernst Deutsch, Rudolf Forster, Auguste Pünkösdy, Helene Thimig. Stichworte: Ernst Deutsch, Rudolf Forster, Fritz Kortner, Auguste Pünkösdy, Helene Thimig,

Kortner, Fritz zeigen

Ein "einheitliches, durchgebildetes Ensemble" - wie es Stanislawskis "Moskauer Künstlertheater" besaß - blieb zeitlebens die Idealvorstellung Viertels, die er 1923 in Berlin mit der genossenschaftlich organisierten Gruppe "Die Truppe" verwirklichen wollte. Dramaturg war Heinrich Fischer, die Bühnenbilder stammten u. a. von Friedrich Kiesler, Franz Singer/Friedl Dicker und George Grosz; Mitwirkende: Rudolf Forster, Fritz Kortner, Johanna Hofer, Oscar Homolka, Leonhard Steckel, Salka Viertel, Lothar Müthel, Paul Bildt, Ernst Josef Aufricht u. a.

Der Spielplan der "Truppe" war äußerst ehrgeizig. Er sollte die für die Moderne repräsentativen Theaterautoren sammeln: Georg Kaiser, Karl Kraus und Robert Musil (in Uraufführungen), Eugene O'Neill und John M. Synge (in deutschen Erstaufführungen), Knut Hamsun und Frank Wedekind. Eröffnet wurde allerdings mit Shakespeares "Kaufmann von Venedig" in Kostümen von Dicker und Singer im Baushausstil, Kostümen, die von dem Darsteller des Shylock, Fritz Kortner, nicht akzeptiert wurden. - Die Gründung widerspiegelte das gewachsene Selbstbewusstsein der Schauspieler, die keine Schwierigkeiten sahen, sich zu einer unabhängigen "Truppe" zusammenzutun, ebenso wie die Opposition gegen das "Geschäftstheater", das, so Viertel 1923, "alles, was organische Entwicklung, Zucht und Form garantieren könnte, hineinschlingen würde in einen regellosen Verbrauch, der dem Augenblick eines heißhungrigen, aber appetitlosen, selbst devastierten und devastierenden Publikums dient." Das Experiment endete mit heftigem Streit unter den Beteiligten und einer Schuldenlast, die Viertel erst durch seine Tätigkeit als Filmregisseur in Hollywood ganz abtragen konnte.

Viertel, Berthold -Kostümentwürfe zeigen

In den Überlegungen zum Ensemble-Gedanken deutete Viertel die Elemente einer von lebensphilosophischen Gegensatzkonstruktionen beeinflussten Kulturkritik an. Er wandte sich gegen das Staatstheater und forderte ein Volkstheater, "an dem das Volk seine Idee vom Leben in einem wachen Traume erblickt". Das Ensemble sollte in eine Gemeinschaft innerlich, geistig aufeinander Bezogener übergehen, statt bloß eine Gesellschaft vertraglich gegeneinander Gesicherter zu bilden. Schließlich zeigen viele Äußerungen Viertels bereits in den 1920er Jahren die Tendenz, zwischen einer mechanisch-materialistischen, kapitalistischen 'Zivilisation' und einer die Rechte der Persönlichkeit und den organischen Zusammenhang wahrenden 'Kultur' zu unterscheiden.

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