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KAPITEL

1. Joseph Roth - Romancier und Journalist
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2. Das Fragment Emigration
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3. "[...] da Gott die Juden vor Sünde bewahrt hat und da Er ihnen Glück durch Unglück beschert"
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4. Anhang
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Markus Kreuzwieser:
Davidstern und Kreuz. Joseph Roths ungewöhnliches Fragment Emigration (1937)


Im Fragment "Emigration<", mit dem Sie sich im Folgenden näher auseinandersetzen sollen, entwirft Joseph Roth Thesen zur und Betrachtungsweisen von Emigration und Exil, die in manchen Passagen verstörend anmuten. Das Fragment gliedert sich in zehn mit römischen Zahlen überschriebene Abschnitte, Sie können diese zunächst im Überblick kennen lernen.

I. Roth hält zunächst fest, dass er kein politischer Emigrant sei. Den Erhalt des "Asylrecht[s] von der Gemeinde der Obdachlosen" verstehe er als "Auszeichnung", er, "der noch eine politische Heimat habe", sei stolz darauf, unter den Heimatlosen sprechen zu dürfen.

II. Die "heutige deutsche Emigration" sei, fährt er fort, mit keiner anderen in der Geschichte zu vergleichen, denn die Literatur sei nicht nur "körperlich", sondern auch "geistig" aus der Heimat verbannt worden. Es hätte bislang noch keine Emigration nach "Rassengesetzen, sondern nur aus politischen [Gründen, M. K.]" gegeben. "Unrecht" wäre es nicht zuzugeben, dass manche, "die aus sogenannten 'rassischen' Gründen" Deutschland verlassen haben, aus politischen Gründen keineswegs ausgewandert wären, sondern im Gegenteil die politische Konzeption des Hitlerschen Regimes bejaht und sogar unterstützt hätten. Roth meint, dass unter den Emigranten einige seien, die "ohne Rassengesetzgebung brave SA- und SS-Männer geworden wären", "paradoxal" ausgedrückt: "Gott habe die Juden vor Sünden bewahrt", "[...] Er habe ihnen Glück durch Unglück beschert". (Joseph Roth 3, 755, 756)

III. Aber, so hält Roth fest, "ein vertriebener Jude - selbst wenn er ohne Rassengesetze in seiner Heimat ein SA-Mörder geworden wäre, bleibt doch ein Vertriebener, und wir, die wir an Gott glauben, müssen an diesem Vertriebenen die göttliche Gnade erkennen, die ihn verhindert hat, ein Mörder zu werden - [...]". (Joseph Roth, 3, 756)

IV. Für Roth sind es Tatsachen, dass "die Mehrzahl der deutschen Emigranten Juden sind; [...], daß in den meisten Ländern ein latenter Antisemitismus herrscht; [...], daß unter den Vorwürfen, die man gegen das Dritte Reich erhebt, jener gegen seinen tierischen Antisemitismus am wenigsten Wirkung haben kann." Für Roth sei das "Gegenteil" zutreffend: Der "Antisemitismus des Dritten Reiches gehörte zu seinen wirkungsvollsten Propagandamitteln", da er "den latenten bestialischen Instinkt jedes Plebejers außerhalb des Dritten Reiches [haargenau treffe], der [...] das Heimische nur deshalb nicht hassen kann, weil es ihm das Gesetz verbietet, und der sich also mit verzehnfachter Gewalt gegen jenes Element stürzt, das von dem Gesetz weniger oder gar nicht geschützt wird." (Joseph Roth 3, 757)

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