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KAPITEL

1. Aspekte des Exils von Schriftstellerinnen
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2. Vicki (Hedwig) Baum (1888-1960)
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3. Hermynia Zur Mühlen (1883-1951)
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4. Mela Hartwig (1893-1967)
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5. Lili Körber (1897-1982)
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6. Hilde Spiel (1911-1990)
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7. Resümee
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8. Anhang
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Sigrid Schmid:
Schriftstellerinnen im Exil - Zuständig fürs Überleben


Lili Körber, die in Moskau geboren und aufgewachsen ist, musste Russland mit ihrer Familie nach der Oktoberrevolution verlassen. Sie absolvierte ihr Literaturstudium in der Schweiz, Wien und in Deutschland und lebte dann bei ihrer Familie in Wien, wo sie begann, für die "Arbeiterzeitung" zu schreiben. Berühmt wurde sie, als sie, wie so viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen in der Zwischenkriegszeit, zu einem Besuch in die junge, im Aufbau befindliche Sowjetunion eingeladen wurde. Anders als die anderen Delegationsmitglieder - darunter Anna Seghers - war sie aufgrund ihrer Russisch-Kenntnisse nicht auf die Reiseführer angewiesen. Sie entschied sich, das neue Regime wirklich kennen zu lernen und ließ sich als ungelernte Arbeiterin in den Putilow-Werken anstellen, wo sie über ein halbes Jahr arbeitete. Ihre Erfahrungen verarbeitete sie in einem Reportageroman "Eine Frau erlebt den roten Alltag" (1932), der großes Aufsehen erregte. Sie entwickelte dabei eine neue Romanform, ein Tagebuch, in dem eine Liebesgeschichte verbunden wird mit genauen journalistischen Berichten, mit Zeitungsausschnitten, montierten Wandzeitungen, Aufrufen etc. Diese Form verwendet sie auch in ihren Berichten über die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Nazis auf das Leben einer jüdischen Schauspielerin, die mit einem "Arier" verheiratet ist und als letzten Ausweg nur mehr den Selbstmord sieht ("Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland" 1934, neu aufgelegt unter dem Titel "Die Ehe der Ruth Gompertz" 1984) und in ihrem Bericht über den "Anschluss" Österreichs, der 1938 in einer Schweizerischen Zeitung unter dem Pseudonym Agnes Muth erscheint.

Ihr Exilweg führt über Frankreich, wo sie noch als Journalistin arbeiten kann, und in die USA (New York). Zwar versucht sie auch dort weiter zu schreiben, doch nur einige wenige Gedichte werden publiziert. Sie vollzieht darauf hin einen radikalen Bruch mit ihrer Vergangenheit und macht eine Ausbildung als Krankenschwester. Sie übt diesen Beruf bis zu ihrer Pensionierung aus. Im Gegensatz zu ihr gelingt es ihrem Ehemann Grave in seinem eigenen Berufsfeld in den USA Fuß zu fassen. Dass die radikale Entscheidung für einen Brotberuf keineswegs unproblematisch war, drückt das Gedicht aus, in dem Körber die schwierige Situation der Emigrantinnen zwischen der alten und der neuen Heimat, dem alten und dem neuen Leben thematisiert:

Amerika, Amerika

Ich sitze zwischen zwei Stühlen, Der alten und neuen Welt, Dort bin ich mit meinen Gefühlen, Doch hier verdien ich mein Geld.

Dort schrieb ich glühende Verse Und sang "Zur Freiheit, zum Licht!" Hier spiel' ich auf der Börse Und höre den Baseballbericht.

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