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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Erste Kontakte mit einer fremden Kultur
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3. Probleme in der neuen Heimat
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4. Politik im Exil
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5. Schmerzlicher Neuanfang
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6. Anhang
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Siglinde Kaiser-Bolbecher:
Österreichische Emigration in Kolumbien


Von Amsterdam dauerte 1938 die Überfahrt nach Puerto Colombia, einem Hafen an der Atlantikküste Kolumbiens, den man heute nicht mehr auf der Landkarte findet und der 40 km von Barranquilla entfernt lag, ungefähr drei Wochen. Um nach Bogotá, der in 2650m Höhe liegenden Hauptstadt zu gelangen, fuhr man von Barranquilla mit einem Stromdampfer den Rio Magdalena aufwärts; das letzte Stück Weges konnte mit der Bahn zurückgelegt werden. In einem bereits nazistisch überarbeiteten zeitgenössischen deutschen Lexikon wird Kolumbien als fruchtbar und reich an Bodenschätzen beschrieben, allerdings kaum industrialisiert. Die Erdöl- und Metallgewinnung, die wenigen Eisenbahngesellschaften waren im Besitz von US-amerikanischen oder britischen Gesellschaften; ebenso die Wasser- und Lichtversorgung sowie der Fernsprechverkehr fast aller größeren Städte. Die Fluggesellschaft SCADTA (Sociedad Colombo Alemaña de Transportes Aereos) befand sich vor dem 2. Weltkrieg in deutschen Händen. (vgl. Petersen, Scheel, Ruth 1933, 311 f.) Die wenigen Ausländer waren als Fachkräfte, Spezialisten in leitender Stellung tätig oder hatten eigene Firmen, vor allem in der Textilbranche und im Handel.

Puerto Colombia zeigen
Hafen Santa Marta zeigen
Zuckerrohr-Presse zeigen
Bogota - Hauptstraße zeigen

Mit der brutalen Zerstörung der Demokratie im Februar 1934, der Verfolgung und Illegalisierung der österreichischen Arbeiterbewegung begann auch die erste, politisch motivierte Fluchtbewegung aus Österreich. Selbstverständlich waren die meisten Sozialdemokraten, Schutzbündler und Kommunisten daran interessiert, mit dem Widerstand in Österreich verbunden zu bleiben bzw. die Unterstützung demokratischer Regierungen und der europäischen Arbeiterbewegung zu nützen. Für diese Gruppe stellte sich nicht einmal die Frage eines außereuropäischen Exils. So waren es wenige, die nach neuen Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten außerhalb Europas suchten. Trotzdem handelte es sich auch bei dieser Emigration, die den Charakter einer Auswanderung annahm, letztlich um eine politisch motivierte. Das "Wagnis Südamerika" begründete sich nicht nur in der politischen und ökonomischen Depressivität Österreichs, sondern auch in der Überzeugung, dass die Nazi-Diktatur, die imperialistischen Bestrebungen des Dritten Reiches nicht vor Österreich stehen bleiben würden. Der Nazi-Putschversuch vom Juli 1934 in Wien, die Nürnberger Rassegesetze, das Abkommen von Berchtesgaden 1936 markieren die Zeitereignisse, die Ohnmacht und Furcht vor der Zukunft hervorriefen.

Februar 1934 zeigen
Februar 1934 zeigen
Nürnberger Rassegesetze zeigen

Kolumbien zählte nicht zu den relativ "traditionellen" Immigrationsländern wie Argentinien, Chile oder Brasilien, in die Europäer vor der nationalsozialistischen Herrschaft oft aus wirtschaftlichen Gründen einwanderten. Die Zahl der aus beruflichen Gründen in Kolumbien lebenden Österreicher/innen war dementsprechend klein, und doch spielten sie eine bedeutende Rolle bei der Visumbeschaffung durch Einladungen bzw. der Besorgung von Arbeitsgenehmigungen und einer Starthilfe für die ankommenden Exilanten. Der Architekt und österreichische Konsul Heinrich Brunner-Lehenstein, der u. a. den Parque Nacional in Bogotá - vergleichbar dem Stadtpark in Wien - Anfang der 30er Jahre gestaltete, und sein Sohn Koloman Brunner-Lehenstein, der maßgeblich die Gründung einer österreichischen Exilorganisation, des "Comité de los Austriacos Libres" vorantrieb, konnten durch ihre Verbindungen und ihr Ansehen wesentlich zur politischen Situierung der geflohenen Österreicher beitragen. Auch Bernhard Mendel, der nach Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaft bereits 1925 nach Kolumbien ausgewandert war, suchte um Arbeitsgenehmigungen und Visa für jüdische Österreicher/innen an. (Gespräch der Verfasserin mit Grete Neu, 25. Mai 1993 in Bogotá)

Der Architekt und Städteplaner Karl Heinrich Brunner-Lehenstein (1887-1960) zeigen

Grete Neu und ihr Mann haben durch einen Arbeitskontrakt von Dr. Mendel 1939 nach Kolumbien flüchten können.

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