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KAPITEL

1. Behütete Kindheit und Jugend in der Bukowina
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2. Auswanderung nach Amerika
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3. „Der Regenbogen“ erscheint in Czernowitz
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4. Sowjetisierung der Bukowina
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5. Ghetto, Elend, Horror, Todestransporte
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6. Wieder in Amerika
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7. Im Nelly-Sachs-Haus
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8. Poetologische Grundsätze
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9. Das letzte Jahrzehnt
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10. Anhang
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Peter Rychlo:
Rose Ausländers Leben und Dichtung. „Ein denkendes Herz, das singt“


Das letzte Jahrzehnt ihres Lebens steht unter dem Zeichen einer fast völligen Isolation und Abgeschnittenheit von der Welt. Lange Zeit leidet die Dichterin an einer Reihe organischer Krankheiten, die aktive Formen der öffentlichen Betätigung einschränken. Der wirkliche Grund für diese Isolierung lag aber wohl darin, dass sie sich jetzt ausnahmslos nur ihrem dichterischen Schaffen widmen wollte. Sie erklärte sich für bettlägerig, um die Zeit zum Schreiben zu gewinnen. Besuche, das Briefeschreiben und Telephongespräche wurden auf ein Minimum reduziert. Nur ganz wenige Leute hatten von nun an Zutritt zu ihr: ihre Pflegeschwester, der Bruder Max, der jährlich aus New York zu Besuch kam, und der Herausgeber ihrer Werke Helmut Braun. Allmählich verwandelte sie sich in den Häftling ihres etwa 16 Quadratmeter großen Zimmers im Nelly-Sachs-Haus. Auch ihr Bett wurde ihr, gleich Heinrich Heine in seiner Pariser Zeit, zu einer „Matratzengruft“, in der sie, vollgestopft mit Tabletten, sich aufrecht hielt und Gedichte schrieb. Dichtung war ihre einzige existenzielle Rettung:

Noch ist Raum / für ein Gedicht // Noch ist das Gedicht / ein Raum // wo man atmen kann.

(Ausländer, Rose: Gelassen atmet der Tag. Gedichte 1976, S. 213)

Man spricht von „ätherischen Gedichten“ der späten Rose Ausländer, da sie jeder Spur der sogenannten „Aktualität des Tages“ entbehren und sich nur aus den Erinnerungen, aus dem Erlebten und Erlittenen nähren. „Diese Traumpoesie hat eine geradezu metaphysische, oder sagen wir besser diaphysische Dimension“, schreibt Paul Konrad Kurz. „Große Substantive besetzen den Wortraum. Satz und rhythmischer Duktus bleiben ‚demütig‘. Die Brechung in Kurzzeilen und Einwortzeilen darf man öfter als poetisch problematisch empfinden. Unzweifelhaft bleibt: Diese deutschsprachige Frau vom rumänischen Pruth spricht ihre unverwechselbare, in den gegenwärtigen Poetiken nicht gehandelte Stimme.“ (Kurz, Paul Konrad: Letzte Möglichkeit des Hierseins: Rose Ausländers Gedichte aus den Jahren 1985 und 1986. In: Süddeutsche Zeitung, München, vom 30.5.1987)

Die „schwarze Sappho unserer östlichen Landschaft“, hat A.Margul-Sperber die Dichterin einmal genannt, indem er auf den dunklen Teint ihres Gesichts anspielte: „Jüdische Zigeunerin / deutschsprachig / unter schwarzgelber Fahne erzogen“ (Ausländer, Rose: Treffpunkt der Winde, Gedichte 1979, S. 49), so bezeichnete sie sich selbst, ihr zigeunerähnliches Wanderschicksal und ihre Heimatlosigkeit hervorhebend. Ein Gedicht aus dem Band „36 Gerechte“ ist mit „Vermächtnis“ überschrieben und ruft noch einmal die wichtigsten Stationen dieses unruhigen, leidvollen und schöpferischen Lebens ins Gedächtnis, das sich als Leben einer jüdischen Frau und einer großen Dichterin deutscher Sprache so typisch und zugleich ganz einzigartig gestaltete:

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