exilierte jiddische dichter aus wien
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Cover der deutschen Auswahlausgabe von Melech Rawitsch: Das Geschichtenbuch meines Lebens, Salzburg 1996, unter Verwendung des kolorierten Holzschnittes "Melech Rawitsch in Wien" von Audry Bergner.

Leseprobe aus Melech Rawitsch: dos mayse-bukh fun mayn lebn / Das Geschichtenbuch meines Lebens:

a) Transkription:
mit ot dem donau-kanal flegn jedn frimorgn onkumen schlep-schifn mit essn-fressn un naschn far dem frejlech-zesungenem mojl fun win. as men hot fun di brikn gesen ot di schlep-schifn untn ojfn wasser, hot ess ojssgesen wi a barg-kejt wolt dort sich pawolje bawegt - un di berg nischt fun erd, lejm un schtejn un nejert fun epl, barn, flojmen, pomidorn, ferschkess, wajntrojbn. (...) jedn frimorgn - ejder gejn zu der arbet in bank - fleg ich mich aropchapn zu di mark-hendlerss bajm breg un far a schibesch ajnkojfn a grojssn schkarmuz mit alerlej majcholim. ojch brojt hot men dort gekrogn biliker, der iker, as men hot nischt makpid gewen ojf frischkejt. gefelt hot nor abissl salz un a top hejss wasser un men hot schojn gekent iberlebn a tog kejád hamejlech.
ravitsh, melekh: dos mayse-bukh fun mayn lebn. 1908 - 1921. Buenos Aires 1964. Seite 233.

b) Übersetzung:
Auf diesem Donaukanal pflegten jeden Morgen Schleppkähne mit Essen, Fressen und Näschereien für den fröhlich-sangesfreudigen Mund Wiens anzukommen. Sah man von den Brücken diese Schleppkähne unten auf dem Wasser, sah das aus, als bewege sich dort gemächlich eine Bergkette - nur waren die Berge nicht aus Erde, Lehm und Stein, sondern aus Äpfeln, Zwetschken, Paradeisern, Pfirsichen, Weintrauben. (...) Jeden Morgen begab ich mich, bevor ich zur Arbeit in die Bank ging, zu den Markthändlern beim Ufer hinunter und kaufte für eine Bagatelle eine große Tüte mit allerhand Lebensmitteln. Auch Brot bekam man dort billiger, wichtig war nur, dass man nicht allzu pedantisch war, was die Frische betraf. Es fehlte nur ein wenig Salz und ein Topf heißen Wassers, und schon konnte man einen Tag erleben, der des Kaisers würdig gewesen wäre.
Rawitsch, Melech: Das Geschichtenbuch meines Lebens. Auswahl. Aus dem Jiddischen übersetzt und herausgegeben von Armin Eidherr. Salzburg/Wien: Otto Müller, 1996. Seite 73 f.



–Exilierte jiddische Dichter aus Wien– ist Teil des Projektes „Österreichische Literatur im Exil seit 1933“ der Universität Salzburg/Institut für Germanistik; Gestaltung: Artur Bodenstein – laboratoire directe