exilierte jiddische dichter aus wien
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Melech Rawitsch

Pferde

Sie gingen zusammen achtzehn Jahr'
und zogen schwere Lasten
und sie waren ein armes Brüderpaar -
vergessene, einsame Pferde.

Und sie standen lange achtzehn Jahre
im staubigen Stall auf dem Boden aus Stein
und Staub ist gefallen auf ihre Haare,
die den Glanz schon seit ewig verloren haben.

Und sie hatten zu leiden die achtzehn Jahr'
unter der Peitsche, die schlug sie oft halb tot ...
Und sie verdienten sich ehrlich das bisschen Stroh
zum Nachtmahl und zum Mittagsbrot.

Und standen sie einmal bei Nacht im Frei'n,
vom Regen durchnässt und von Kälte zernagt,
dann hat das ältere den traurigen Kopf
ans jüng’re geschmiegt und hustend gesagt:

“Müd bin ich, Bruder, denn schweigend geh'n
wir achtzehn Jahre schon geduldig und brav,
die Knie sind zittrig, es ist Zeit zu ruh'n -
die Augen erblinden, die Haut ist schlaff.”

Und einmal standen sie da in der Nacht
- die zwei einsamsten Pferde auf Erden -
und handelseinig ward in der Schenke ihr Herr
mit einem Vorstadt-Schlächter von Pferden.

Und er gab ihm seinen Handschlag darauf
und schätzte ihren Wert in gutem Geld -
den Wert der einsamsten, traurigsten Pferde
auf der weiten Welt.

Für den nächsten Tag bedang er sich noch aus
einen letzten Gang mit den Pferden zum Wald,
sie sollten noch einmal das Fuhrwerk zieh'n,
dann kommt der Abschied - kurz und kalt.

Sie gingen wie stets in den achtzehn Jahr'n
und über ihnen hat die Peitsche geknallt
und führten - schon für die kalte Winterzeit -
eine schwere Wagenfuhr mit Holz aus dem Wald.

Und als sie zurückgekommen waren vom Wald
- heute gab's dann auch keine Mahlzeit mehr -
da trugen sie traurig die eigene müde Haut
zum Schlachthaus (und trugen nicht schwer).

Und als sie es rochen - allüberall das Blut,
zitterten die Beiden, von Ahnung gequält,
und schmiegten die langen Köpfe aneinand'
und lauschten, was das Blut erzählt.

Und als man es ihnen vom Halse nahm -
das Joch von mühevollen achtzehn Jahren,
da sah man dort schwarze Haut,
wo früher einmal glänzende Haare waren.

Und als sie sich kurz darauf im Blute wälzten
auf dem Schlachthaus-Boden aus Stein,
da tönte wüst der eiserne Schlag
von Hufeisen auf dem Boden von Stein

Und erinnerte sie an ihre Schritte von einst
auf steinernen Straßen - achtzehn Jahre lang
und ihr Atem ging immer so schwer,
als sie zogen über die weite, einsame Erde -
die beiden armen Pferde.

Wien, 1919

(Aus dem Jiddischen von Armin Eidherr)



–Exilierte jiddische Dichter aus Wien– ist Teil des Projektes „Österreichische Literatur im Exil seit 1933“ der Universität Salzburg/Institut für Germanistik; Gestaltung: Artur Bodenstein – laboratoire directe