|
|
Völkischer Beobachter (Wiener Ausgabe), 28.4.1938, S.23
Den 104 jüdischen und als jüdisch geltenden Schülern
des BG 19 wurde am 28. April 1938 ihr Ausschluß im Turnsaal
zur Kenntnis gebracht. Michael Stone beschreibt die Situation, die
in seiner Klasse herrschte, als er mit seinen jüdischen Mitschülern
in die Klasse zurückkehrte: Als sie in ihr Klassenzimmer
zurückkamen, war Hackel (der Lehrer, Anm. M.K.) nicht mehr
da. Einer, ich sage nicht, wer, aber er wurde nach dem Kriege ein
erfolgreicher Rechtsanwalt und praktizierender Katholik, hatte auf
die Tafel geschrieben >Die Juden sind unser Unglück<,
und ein anderer war ihm an die Kehle gesprungen, so daß sie
mitten in diese Balgerei hineinplatzten. Auf der Tafel stand nur
noch >Die Juden sind unser ...<, weil jemand das Wort Unglück
weggewischt hatte. (Stone, Blindeninstitut, S.37)
|
|
|
Katalogblatt des BG 19, 1937/38 (Georg Stefan Troller)
Links findet sich der Vermerk des Ausschlusses vom BG 19. In einer
für den Nationalsozialismus typischen Sprache der Verschleierung
wurde diese Maßnahme Umschulung genannt.
Als Georg Stefan Troller nach 1945 seine ehemalige Schule besuchte
und um eine Kopie seines Zeugnisses aus der 7. Klasse bat, widerfuhr
ihm folgendes: Er (der Direktor, Anm. M.K.) öffnete eine
dicke Kladde (den Katalog, Anm. M.K.): >Aus meinen Unterlagen
geht aber hervor, daß Ihnen dieses Papier behördlicherseits
bereits im Jahr ´38 ausgefolgt wurde.< Ich gab zu bedenken,
daß ja inzwischen allerhand vorgefallen sei. >Auf solche
Dokumente muß man doch aufpassen<, erwiderte er streng.
(Troller, Selbstbeschreibung, S.247)
|
|
|
Wiener Juden stellen sich um Pässe an
Da die alten österreichischen Reisepässe knapp nach dem
Anschluß Österreichs an Deutschland ihre
Gültigkeit verloren hatten, mußten Ausreisewillige deutsche
Reisepässe beantragen. Welche Gespräche man dabei hören
konnte, beschreibt Reinhold Eckfeld: Meine Tochter ist in
Palästina, ja, sie ist jetzt schon seit August dort, mein Sohn
wird wohl auch bald nachfahren, ja, wir, ob wir hinauskommen, das
weiß Gott allein, ja wir haben Verwandte in Frankreich, die
haben jetzt eingereicht für meinen Mann und mich, ich weiß
nur nicht, was ich mit den Möbeln ... - ... war
gestern beim amerikanischen Konsulat, um mich wegen der Wartenummer
zu erkundigen. ... das Affidavit (Bürgschaft im
jeweiligen Exilland, Anm. M.K.) habe ich schon, ich muß aber
jetzt noch wegen der Ausreisebewilligung ... - ... der
am Steueramt, der will uns nur schikanieren, jetzt verlangt er wieder,
daß wir ihm ... - ... und seit wann ist er dort?
Na am 10. November (der Tag nach der Novemberpogromnacht,
Anm. M.K.) ist er verhaftet worden, und dann hab´ns ihn nach
Dachau geschickt ... und jetzt bemüh´ ich mich für
eine Einreise nach ... - ... Wie? Na alle 14 Tage bekomm´
ich von ihm eine Karte ... - ... Na der von der Reichsfluchtsteuer
... - ... ich bin Arier, aber mein Mann und meine Kinder
... - ... na als Hausgehilfin ... - ... ach ja,
es ist zum Aufhängen, was habe ich nicht alles versucht und
nichts ... (Eckfeld, Monate, S. 33f)
|
|
|
Deutscher Reisepass mit dem roten J-Stempel
Die deutschen Reisepässe wurden am 5. Oktober 1938 durch die
Verordnung über Reisepässe für Juden
des Reichsinnenministeriums ungültig und mußten abgeliefert
werden. Sie wurden mit einem roten J-Stempel gekennzeichnet.
Diese Kennzeichnung wurde von den Schweizer Behörden gefordert,
da man jüdische Flüchtlinge gleich an der Grenze erkennen
wollte, um ihnen die Einreise verweigern zu können.
|
|
|
Reinhold Eckfelds Amtsbestätigung über
die
Verpflichtung zum Tragen des zusätzlichen Vornamens Israel
Juden, deren Vornamen nicht in einer vom Reichsinnenministerium
herausgegebenen Namensliste mit jüdischen Vornamen
enthalten waren, mußten durch die Zweite Verordnung
zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von
Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938 des Reichsinnen-
und Reichsjustizministeriums ab 1. Jänner 1939 die weiteren
Vornamen Sara (für Frauen) und Israel
(für Männer) tragen.
|
|
|
Palais Rothschild, Prinz Eugen Straße 22,
Sitz der Zentralstelle für jüdische Auswanderung
Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung
wurde im August 1938 errichtet. Sie war eigentlich ein Paßamt,
das sich mittels Abgaben von Juden selbst finanzierte und eine rationellere
Enteignung der auswanderungswilligen Juden bringen und
die Ausreiseabfertigung verkürzen sollte. Nach der Erledigung
einer Reihe von bürokratischen Schikanen und dem De-facto-Verzicht
auf das gesamte Vermögen durfte der nunmehrige Paßinhaber
unter Mitnahme weniger persönlicher Habseligkeiten sowie zehn
Reichsmark an Devisen ausreisen. Eichmann, der Gründer und
Leiter dieses Amtes, hatte sehr schnell erkannt, wie man mit brutaler
Gewalt die Juden Wiens einschüchtern, durch Versprechungen
erpressen und damit zur Auswanderung bringen konnte.
Reinhold Eckfeld schreibt über die Zentralstelle: Noch
bevor die Straßenbahn hält, stehen sie (die ausreisewilligen
Juden) schon am Trittbrett, um schnell abzuspringen und sich der
Schlange anzuschließen, die bereits wartend vor den hohen,
schwarzen Gittertoren des einstigen Rothschildpalais steht. Die
Vorbeigehenden betrachten uns, die wir hier Schlange stehen, teils
neugierig, teils höhnisch, teils absichtlich überhaupt
nicht, da man sich um so etwas, diesen Auswurf der Menschheit ja
überhaupt nicht kümmert. Wiederum hört man dieselben
Gespräche über dieselben Themen von den Menschen in der
gleichen Schicksalslage. (...) ... um dann um zehn Uhr langsam die
Treppe rechts hinaufsteigen zu dürfen und dann in die großen
Säle eingelassen zu werden, wo die einzelnen Dokumente und
Einreichungsformulare von Beamten und Beamtinnen (widerlichen, arroganten,
hochnäsigen, protzigen Geschöpfen, die es sich zum Spaß
machen, Männer anzuschreien) überprüft werden.
(Eckfeld, Monate, S.36f)
|
|
|
Bescheid über die Judenvermögensabgabe
Diese bereits 1931 in Deutschland eingeführte Steuer zur Verhinderung
der Kapitalflucht ins Ausland wurde durch das nationalsozialistische
Deutschland im Runderlaß des Reichsministeriums der
Finanzen vom 26. Juli 1933 übernommen. Mit dem Gesetz
zur Reichsfluchtsteuer vom 18. Mai 1935 wurde die Freigrenze,
die das Vermögen betraf, von 200.000 RM auf 50.000 RM herabgesetzt.
Des weiteren waren alle Personen steuerpflichtig, deren Jahreseinkommen
20.000 RM überstieg. Dadurch wurde der Kreis der Reichsfluchtsteuerpflichtigen
wesentlich erweitert. Der Steuersatz betrug einheitlich 25%. Aufgrund
der Devisenbestimmungen und unglaublich schlechter Wechselkurse
erhielten die Auswandernden jedoch nur einen Bruchteil der verbleibenden
Summe. Die Reichsfluchtsteuer diente dazu, die in die Emigration
Flüchtenden zu zwingen, den Großteil ihres Vermögens
dem Staat zu überantworten. Die Bestimmungen der Reichsfluchtsteuer
kamen mit einem Merkblatt des Reichsministeriums der Finanzen
betreffend Einführung der Reichsfluchtsteuer in Österreich
vom 14. April 1938 auch in Österreich zur Anwendung.
Erst nachdem sämtliche Steuerverfahren - besser
wäre wohl Verfahren zur Ausplünderung - abgeschlossen
waren, wurde die sogenannte Steuerunbedenklichkeit erklärt.
|
|
|
Reisepaß mit deutschem Ausreisestempel aus Emmerich
(Grenze zu den Niederlanden) und Einreisevisum nach Großbritannien
(rechts)
So müssen auch Reinhold Eckfelds und Michael Stones Reisepässe
ausgesehen haben. Beim Erlangen der australischen Staatsbürgerschaft
hatte Reinhold Eckfeld seinen deutschen Reisepaß den Behörden
aushändigen müssen.
|
|
|
Ein österreichischer Reisepaß mit deutscher Ausreisegenehmigung
und britischem Visa
Nur wenigen gelang mit einem österreichischen Paß die
Ausreise
|
|