Arbeiteraufstand 1934

Um das blutige Ende der Ersten Republik - den Bürgerkrieg - zu verstehen muss man an das Ende der Habsburgermonarchie im Jahre 1918 zurückgehen. Schon 1919 entstanden im Zuge des Zerfalls der K.u.K.-Armee Bauern- und Arbeiterwehren. Sie beteiligten sich unter anderem an den Grenzkämpfen in Kärnten und der Steiermark (Kärntner Abwehrkampf). Die Arbeiterwehren in Wien nahmen am Kampf gegen ungarische Freischärler teil.

Da es in Österreich von Beginn der Ersten Republik an zwei ideologisch entgegensetzte Lager gab, fassten sowohl die Sozialdemokraten als auch die Christlichsozialen die Bewaffnung der politischen Gegner als unmittelbare Bedrohung auf. Der 'Republikanische Schutzbund' war die Wehrformation der Sozialdemokratie, die 'Heimwehr' jene der Christlich-Sozialen. Auf dem Parteitag des Jahres 1922 bekannten sich die Sozialdemokraten unter dem Eindruck des italienischen Faschismus zur "proletarischen Wehrhaftigkeit". Sie wollten den restaurativen Tendenzen, dem aufkommenden Faschismus und der Bedrohung der Demokratie nötigenfalls mit Waffengewalt entgegentreten. (vgl. Portisch 1989, 280 ff.)

Als das Heeresministerium 1923 von den Christlichsozialen übernommen wurde, nahmen dies die Sozialdemokraten zum Anlass, den "Republikanischen Schutzbund" zu gründen, der in allen Belangen der Partei vollkommen untergeordnet war. In den Reihen des Schutzbundes gab es etwa 80 000 Mitglieder. Noch im selben Jahr organisierten sich auch die christlich-sozialen 'Heimwehren' neu. Ihre Struktur war eng an die christlich-soziale Partei angelehnt. Die Heimwehr zählte bald 120 000 Bewaffnete. (vgl. Scheithauer u. a. 1983, 137 ff.)

Zur ersten dramatischen Eskalation kam es 1927 in Schattendorf/Burgenland. Bei einer Doppelkundgebung der Heimwehr und des Schutzbundes wurde der Hilfsarbeiter Matthias Csmarits und ein achtjähriger Eisenbahnersohn von Mitgliedern der Heimwehr erschossen. (vgl. Botz 1976, 107-111) Als die Attentäter freigesprochen wurden, gingen die Sozialdemokraten Wiens auf die Straße. Sie marschierten in die Innenstadt und setzen am 15. Juli 1927 den Justizpalast in Brand. Sie wollten das Symbol der in ihren Augen ungerechten Rechtssprechung vernichten. (vgl. Portisch 1989, 180 ff.)

Die Führer der Sozialdemokraten, unter ihnen Bürgermeister Seitz (vgl. 'Das Rote Wien'), versuchten die Demonstranten zu zerstreuen und der Feuerwehr den Weg frei zu machen. Es half alles nichts. Die Exekutive wurde von den Demonstranten angegriffen. Seitz weigerte sich, gegen seine Parteimitglieder vorzugehen. Also überging die Regierung den Bürgermeister und ließ durch Polizeipräsident Dr. Schober Truppen gegen die Demonstranten einsetzen. Die Demonstration wurde gewaltsam aufgelöst. Polizisten stürmten beritten und mit gezogenem Säbel auf die Menschen ein. Schießbefehl wurde gegeben. 85 Demonstranten und 4 Polizisten starben. Die Angaben über verletzte Personen variieren. Die Polizei sprach von 548 verletzten Zivilisten und 120 schwer sowie 480 leicht verletzten Sicherheitsorganen. Die sozialistische ?Arbeiter-Zeitung? hingegen berichtete von 1057 verletzten Demonstrationsteilnehmern. (vgl. Botz 1982, 243 ff.)

Karl Kraus startete eine Plakataktion gegen Schober, blieb aber erfolglos. Er konnte den Polizeipräsidenten nicht zum Rücktritt bewegen. Die beiden Lager verharrten bis zum Ende der Ersten Republik in einem latenten Bürgerkriegszustand. Ständige Aufmärsche, Wehrübungen und ähnliche Machtdemonstrationen sollten den Gegner in Schach halten. Verschärft wurde die Situation durch die ständigen Sprengstoffattentate der illegalen Nationalsozialisten auf Personen, Verkehrsanlagen und Gebäude.

Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ersuchte bei den europäischen Großmächten England und Frankreich um Unterstützung im Falle einer Aggression Hitlers gegen Österreich. Die Regierung hatte die berechtigte Sorge, Hitler wolle Österreich annektieren. England und Frankreich lehnten jegliche Unterstützung ab. Mit Stalin wollte Dollfuß keine näheren Beziehungen. Er fürchtete die Stärkung des Einflusses der Kommunisten in Österreich. So blieb nur Mussolini. Dieser forderte als Gegenleistung für seine Unterstützung gegen Hitler, die er freilich nie gewährte, die permanente Ausschaltung des Parlaments, das Verbot der Sozialdemokratischen Partei und die Stärkung der faschistischen Heimwehr. (vgl. Portisch 1989, 430 f.)

Heimwehrführer Fey, einer der profiliertesten Vertreter des Austrofaschismus, fühlte sich in seinen Bestrebungen bestärkt. Ihm wurde das Innenministerium überantwortet. Daraufhin ließ er den Schutzbund verbieten. Er ordnete an, dass die Stützpunkte des Schutzbundes nach Waffen durchsucht wurden. Die Parteiführung der Sozialdemokratie hielt sich zurück. Man wollte eine direkte Konfrontation vermeiden. In Linz war man allerdings nicht gewillt, sich so ohne weiters den Anordnungen Feys zu beugen und empfing die waffensuchende Polizei am 12. Februar 1934 mit Schüssen.

Es blieb der Sozialdemokratischen Partieführung nichts anderes übrig, als dem Linzer Beispiel zu folgen, wollte sie nicht die Spaltung der Partei riskieren. Der Generalstreik wurde ausgerufen. Der Schutzbund griff zu den Waffen. In Wien zog sich der Schutzbund in die Gemeindebauten zurück. Der Artillerieangriff der Heimwehr auf den Karl-Marx-Hof hat bis heute Symbolcharakter: Kanonen gegen Arbeiterwohnungen. Das rückte die Regierung Dollfuß nicht gerade in ein vorteilhaftes Licht. Weitere Kämpfe gab es vor allen in Linz, in Graz und in den Industriestandorten der Obersteiermark (Donawitz).

Die Regierung, das Bundesheer und die Heimwehr gewannen die Auseinandersetzung in wenigen Tagen. Anstatt Milde walten zu lassen, griff Dollfuß zu drakonischen Strafen. Das Standgericht verhängte 1200 Freiheitsstrafen und neun Todesurteile. Damit war jede Möglichkeit eines Kompromisses zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten endgültig unmöglich.

Die Kämpfe forderten laut offiziellen Angaben 118 Tote und 486 Verwundete auf Seiten der Exekutive und 196 Tote und 319 Verletzte auf sozialdemokratischer Seite.

Links zu anderen Lexikonartikeln:

Kraus, Karl zeigen

 

Forschungsliteratur:

Botz, Gerhard Gewalt in der Politik zeigen

Neck, Rudolf Der Justizpalast brennt! Das Ende einer jungen Demokratie zeigen

Portisch, Hugo Österreich I - die unterschätzte Republik zeigen

Scheithauer, Erich (u.a.) Geschichte Österreichs in Stichworten zeigen

 

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