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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Zur Vorgeschichte
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3. "Anschluss" - literarische Pogromstimmung
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4. Verlauf und Richtung der Exilbewegung
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5. Zeitschriften des Exils
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6. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Österreichische Exilliteratur im Überblick


Wenn man das österreichische Exil mit den Exilen aus anderen Ländern im Machtbereich Hitlers vergleicht, kommt man zu der bemerkenswerten Feststellung, dass die österreichische Kultur wie in kaum einem anderen Land der Welt aus ihrer Heimat vertrieben worden ist - also nicht nur die Literatur, sondern ebenso die Musik, Malerei, Wissenschaft und andere. Das Jahr 1938 markiert einen Bruch in der Kulturgeschichte Österreichs, einen Bruch, dessen Ausmaß und Folgen die Nachkriegszeit zunächst partout nicht wahrhaben wollte. Der Grund dieser im Verhältnis zu anderen Ländern größeren Anzahl vertriebener, verfolgter und ermordeter Kulturschaffender liegt zum Teil darin, dass in den sogenannten "freien Berufen", zu denen auch die künstlerischen zählen, überproportional viele Menschen jüdischer Herkunft tätig waren, die nun der vollen Wucht der NS-Repression ausgesetzt waren.

Dazu kommt, dass sich die NS-Repression in Österreich nicht nur politisch gegen "Marxisten" und "Liberale" (die nach der nationalsozialistischen Auffassung ohnehin denselben "seelenlosen Materialismus" vertraten), rassistisch gegen "Juden" und "Zigeuner", biologistisch gegen "Erbgeschädigte" und "Asoziale" richtete, sondern ebenso, wenngleich nicht mit derselben mörderischen Konsequenz, gegen die Anhänger jenes "Ständestaates", der dem Vordringen des Nationalsozialismus zumindest bis 1936 einen gewissen Widerstand entgegengesetzt hatte. Charakteristisch dafür ist das Schicksal eines Schriftstellers und hohen Funktionärs des Ständestaates, Hans von Hammerstein?Equord, der 1933 noch aus dem gegen die Gleichschaltung in Deutschland protestierenden Wiener PEN-Club ausgetreten war, als Bezirkshauptmann in Braunau am Inn jedoch so energisch gegen die Nazis vorging, dass er als Staatssekretär für Sicherheitsfragen nach Wien berufen wurde. Nach dem 20. Juli 1944 wurde er ins KZ Mauthausen deportiert; an den Leiden, die er sich im KZ zugezogen hatte, starb er 1947.

Es ist zu unterscheiden zwischen dem, was die Nationalsozialisten als "die Juden" perhorreszierten und mit den "Nürnberger Rassegesetzen" auszusondern versuchten, und der religiösen oder ethnischen Selbstbestimmung eines Menschen als Jude. Von den rassistisch Verfolgten erfuhren viele erst durch die Verfolgung, dass sie nun "Juden" seien. Stellvertretend und beispielhaft können hier die Überlegungen von Jean Améry in seinem Programmessay "Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein" (J. Améry, Jenseits von Schuld und Sühne, 1966/1980, 130-156) gesehen werden.

Hinter dem Gegensatz zweier konkurrierender Faschismen "Der 'Austrofaschismus' ist mit der NS-Barbarei nicht auf eine Stufe zu stellen!" verbarg sich ein nationaler Gegensatz: Für österreichische Patrioten war, anders als für deutsche Patrioten, das Großdeutsche Reich in keinem Augenblick die Erfüllung ihrer nationalen Sehnsüchte. Das Großdeutsche Reich bedeutete ihnen vielmehr die nationale Unterdrückung Österreichs.

Wenn die Exilliteratur und die Literatur der Daheimgebliebenen quantitativ annähernd gleich waren, so gibt es doch kaum einen österreichischen Schriftsteller der Periode 1930-1950, der heute internationales Ansehen genießt und nicht wie Hermann Broch, Elias Canetti, Robert Musil, Franz Werfel oder Stefan Zweig im Exil gewesen ist.

Broch, Hermann: Porträt zeigen

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