zurück zum Inhaltsverzeichnis

KAPITEL

1. Einleitung
anzeigen

2. Zur Vorgeschichte
anzeigen

3. "Anschluss" - literarische Pogromstimmung
anzeigen

4. Verlauf und Richtung der Exilbewegung
anzeigen

5. Zeitschriften des Exils
anzeigen

6. Anhang
anzeigen

 

Konstantin Kaiser:
Österreichische Exilliteratur im Überblick


Es wäre verfehlt, die Spaltung der österreichischen Literatur allein als Folge äußerer Gewalteinwirkung zu sehen. Zwar hatten sich in der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit keine so heftigen politischen Gegensätze herausgebildet wie etwa im Deutschland der Weimarer Republik: Eher bedeutungslos blieb der 1930 nach deutschem Vorbild gegründete "Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs", und Alfred Rosenbergs seit 1931 auch in Österreich tätiger "Kampfbund für deutsche Kultur" war, trotz seines später sehr prominenten Funktionärs Josef Weinheber, eher eine Randerscheinung. Unter den Schriftstellern fanden sich selbstverständlich Anhänger aller politischen Richtungen, aber es kam zu keiner organisierten, programmatisch artikulierten literarischen Frontbildung. Dem 1923 gegründeten Wiener PEN-Zentrum gehörten jüdische Sozialdemokraten wie David Josef Bach, Fritz Brügel, Robert Neumann ebenso an wie die Nationalsozialisten Mirko Jelusich, Franz Spunda, Robert Hohlbaum oder Bruno Brehm, die aus ihrer Gesinnung schon damals kein Hehl machten.

Dieses Bild eines relativ friedlichen Literaturbetriebs, getragen vielleicht von dem typisch österreichischen Glauben an die "Vereinbarkeit des Unvereinbaren" (Ernst Karl Winter), änderte sich 1933-35 rasch. Vordergründig ging es anlässlich der Bücherverbrennungen in Deutschland (am 10. Mai 1933) um die Frage, ob man sich der "Gleichschaltung" der deutschen Literatur mehr oder weniger anpassen solle, um seine Bücher weiter in Deutschland verkaufen zu können, oder ob man gegen die Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung deutscher Schriftstellerkollegen protestieren solle. Beim Internationalen P.E.N.-Kongress im Mai 1933 in Ragusa (Dubrovnik) wollten sich die österreichischen Delegierten abwartend verhalten; nach Wien zurückgekehrt, sahen sich Felix Salten und Grete von Urbanitzky der massiven Kritik einer Mehrheit der Mitglieder des PEN-Klubs konfrontiert. Als im Juni 1933 eine Resolution gegen die Kulturbarbarei in Deutschland beschlossen und von 25 Schriftstellern, darunter Franz Th. Csokor, Oskar M. Fontana, Paul Frischauer, Gina Kaus, Ernst Lothar, Robert Neumann oder Friedrich Torberg unterzeichnet wurde, traten die "national" (d. h.: großdeutsch oder nationalsozialistisch) gesinnten Schriftsteller/innen aus dem PEN-Klub aus; im November 1936, nach dem Juli-Abkommen zwischen Adolf Hitler und Kurt (von) Schuschnigg, gründeten die Ausgetretenen den "Bund deutscher Schriftsteller Österreichs". Sie bekundeten damit noch in der Zeit des "Ständestaates" (die NSDAP war in Österreich seit 1933 verboten!) ihre Sympathie für das nationalsozialistische Deutschland. Es ist bezeichnend, dass diesem "Bund deutscher Schriftsteller" vom "Ständestaat" ausgesprochen 'umworbene und geförderte Autoren', wie Max Mell und Josef Wenter, angehörten.

P.E.N.-Club: Protestresolution zeigen

Die Spaltung der Literatur, die 1938 zu einem Faktum wurde, war also länger vorgezeichnet. Der Unterschied zur Situation nach dem 13. März 1938 war der, dass die Polarisierung 1936 noch als eine Angelegenheit unter Literaten erscheinen konnte, während sich 1938 jede weitere literarische Diskussion erübrigte. Eine Verständigung zwischen den Daheimgebliebenen und den Vertriebenen hat auch später, nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands, nicht stattgefunden, sieht man von einzelnen Freundschaftsbeziehungen, die nach der NS-Zeit wieder aufgenommen wurden, ab. (So z. B. die Freundschaft des nach Palästina geflohenen Romanciers Leo Perutz mit dem erklärten Nationalsozialisten Bruno Brehm, die allerdings ganz auf persönlicher Verbundenheit, nicht auf gemeinsamen Anschauungen - außer vielleicht einer gespreizten Souveränität im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht - beruhte.) Die Entscheidung, offen gegen die Verfolgungen im nationalsozialistischen Deutschland Stellung zu nehmen, ist etlichen Schriftstellern sehr schwer gefallen. Selbst Ödön von Horváth und Stefan Zweig, deren Werk nicht die geringste Affinität zur "völkischen" Literatur aufweist, zögerten, auf den deutschen Markt zu verzichten. Hier spielte die damals verbreitete Vorstellung eine Rolle, ein Hitler an der Macht werde im Nu "abwirtschaften". Wirkten die berechtigten Ängste (vor dem Verlust des größten Absatzgebietes) und illusionären Wunschvorstellungen (dass es mit der Hitlerei ohnehin bald vorbei sein werde) dämpfend auf die Bereitschaft zum Protest, so ließen die Zeugnisse, die die nach Österreich geflohenen deutschen Schriftsteller (wie Oskar Maria Graf und Walter Mehring) und die unfreiwillig aus Deutschland zurückgekehrten Österreicher dem NS-Regime ausstellten - man denke nur an die Essays von Joseph Roth - ein passives Abwarten der weiteren Entwicklung nicht ratsam erscheinen.

S. 3/10 vorherige Seite - nächste Seite

  

IMPRESSUM | 2002 © UNIVERSITÄT SALZBURG