zurück zum Inhaltsverzeichnis

KAPITEL

1. Einleitung
anzeigen

2. Deutschland 1933: Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
anzeigen

3. Österreich zwischen 1933 und 1938 als Asyl- und Transitland
anzeigen

4. Rechtliche Grundlagen des Asyl- und Fremdenrechts in Österreich zwischen 1933 und 1938
anzeigen

5. Zur Asylpraxis nach 1933
anzeigen

6. Fremdengesetz gegen deutsche Flüchtlinge 1935-1938
anzeigen

7. Deutsche Schriftsteller/innen im österreichischen Exil
anzeigen

8. Verlage
anzeigen

9. Carl Zuckmayer
anzeigen

10. August Hermann Zeiz
anzeigen

11. Hubertus Prinz zu Löwenstein und der Aufbau der "American Guild for German Cultural Freedom"
anzeigen

12. Theater und Film
anzeigen

13. Anhang
anzeigen

 

Ulrike Oedl:
Das Exilland Österreich zwischen 1933 und 1938


Spätestens mit dem 30. Jänner 1933, der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, sowie der daraufhin staatsstreichartigen Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland, war vielen Betroffenen klar, dass ihr Leben unmittelbar in Gefahr war. Und viel Zeit blieb nicht mehr, über die verschiedenen Möglichkeiten einer Flucht nachzudenken, die meisten mussten überhastet, ohne Rücksicht auf familiäre und sonstige Bindungen und unter Zurücklassung von Eigentum und Vermögen Deutschland verlassen. Denn die Nationalsozialisten gingen mit enormen Tempo und unter Zuhilfenahme einer gut funktionierenden Bürokratie daran, ihre Herrschaft abzusichern. Nach der Auflösung des Reichstags am 1. Februar setzte unter der Federführung von Joseph Goebbels die ungehemmte nationalsozialistische Propaganda zur Reichstagswahl ein. In Preußen begann Hermann Göring in seiner Funktion als preußischer Ministerpräsident mit den ersten Amtsenthebungen. Am 27 Februar 1933 brannte der Reichstag: dieser von einem SA-Trupp begangene, den Kommunisten zur Last gelegte Anschlag bot den Anlass zu einer extensiven Verhaftungswelle, der vor allem kommunistische Funktionäre zum Opfer fielen, und dem Verbot kommunistischer und sozialdemokratischer Presse. Die daraufhin erlassene "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat" setzte wesentliche Punkte der Reichsverfassung außer Kraft und ermöglichte schließlich die Abschaffung der rechtsstaatlichen Grundlagen.

"Übrigens fragt man sich ja, ob für meinesgleichen fortan überhaupt noch Raum sein wird in Deutschland, ob die Luft dort für mich zu atmen sein wird." (Th. Mann an L. Mazzucchetti, 13.3. 1933; Th. Mann, Briefe, 1961, 329)

"Die Politik beherrscht alle Gespräche. Man erwartet Besetzung Berlins durch SA [...] In Deutschland herrscht tatsächlich Mordluft." (TB. 27.2. 1933) (C. Hoffmann, Tagebuch, 1995, 80 f.)

"30. Januar: Hitler Kanzler. Was ich bis zum Wahlsonntag, 5.3.,Terror nannte, war mildes Prélude. [...] Auch für uns persönlich drängt alles zur Katastrophe." (V. Klemperer, Tagebücher, 1998, 8)

Die Reichstagswahlen vom 5. März brachten nicht den erhofften Erdrutschsieg für die Nationalsozialisten, gemeinsam mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot erreichten sie eine knappe Mehrheit von 52%. Doch das daraufhin erlassene Ermächtigungsgesetz vom 24. März, das die Reichsregierung zu einer Gesetzgebung unter Ausschaltung eines verfassungskonformen Verfahrens ermächtigte, öffnete den Weg in die Diktatur. Bereits Mitte März wurden die ersten Konzentrationslager (Dachau) errichtet, Anfang April begann der organisierte Boykott jüdischer Geschäfte und mit dem am 7. April erlassenen Gesetz ("Arierparagraph"), das bestimmte, alle Beamte "nichtarischer Abstammung" in den Ruhestand zu versetzen, war bereits ein wichtiger Schritt in Richtung organisierter Judenverfolgung und -vernichtung gesetzt worden. Ende des Jahres war im wesentlichen der Umbau zum totalitären Staat abgeschlossen (Aufhebung der Gewerkschaften, Auflösung aller Parteien - mit Ausnahme der NSDAP, erneute Reichstagswahlen, bei denen die Einheitsliste der NSDAP 92% aller Stimmen erhielt). Der Tod Hindenburgs am 2. August des darauffolgenden Jahres und die Deklaration Hitlers zum "Führer und Reichskanzler" war nur mehr formaler Ausdruck eines de facto bereits vollzogenen Prozesses. Hätte der Umbau einer zwar in Ihren Grundfesten instabilen parlamentarischen Republik ohne das reibungslose Funktionieren der vorhandenen Bürokratie und ihrer "unbestechlichen" Strukturen zu einem faschistischen Staat niemals in der schier reibungslosen Geschwindigkeit vonstatten gehen können, so bediente man sich in gleicher Weise bewährter Strukturen, als es darum ging, die Vernichtung der Juden zu organisieren. Retten konnten sich also überhaupt nur diejenigen - und dies betraf alle rassistisch, religiös oder politisch Verfolgten gleichermaßen - die schnell genug das herannahende verbrecherische Unheil mit seiner tödlichen Konsequenz erkannten.

Ermächtigungsgesetz vom 24.3.1933 zeigen

S. 2/19 vorherige Seite - nächste Seite

  

IMPRESSUM | 2002 © UNIVERSITÄT SALZBURG