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KAPITEL

1. Klassisches Exilland - Mythos und Realität
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2. Zur Asylpolitik der Schweiz
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3. "Das Boot ist voll". Maßnahmen gegen unerwünschte Flüchtlinge
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4. Asylgewährung
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5. Hilfsorganisationen
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6. Die Internierung von Flüchtlingen
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7. Paul Grüninger
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8. Österreichische Exilantinnen und Exilanten in der Schweiz
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9. Transitland Schweiz
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10. Vom Leben im Schweizer Exil
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11. Das Zürcher Schauspielhaus
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12. Rückkehr
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13. Anhang
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Ulrike Oedl:
Exilland Schweiz


"Heute habe ich drei gute Nachrichten. Ich war gestern beim Arzt und er findet, daß die Heilung fortschreitet. Daß ich Schmerzen habe und nicht schlafen kann, macht ihm gar nichts. [...] Die zweite positive Nachricht ist, daß die ausländische Bank, bei der Hemme angestellt war, fest entschlossen ist, seinen Pensionsrest weiter nur an ihn zu zahlen; hoffentlich kommt nichts dazwischen. Das Dritte ist, daß ich für die Meinen ein Einreise-Visum hierher besorgt habe. Weniger günstig steht es um die Ausreise, so lange mein Erholungsheim noch nicht verkauft ist; und der Verkauf zieht sich hin. Muß ich Dir, meiner besten Freundin erst sagen, daß meine Geduld bis zum Reißen angespannt ist? Unter diesen Verhältnissen kann ich noch nichts über unsere Zukunft sagen. Die Schweizerfreunde sind dafür, daß wir in der Schweiz bleiben, die französischen für Frankreich, die amerikanischen für Amerika. Ich kann also nichts tun, bis Hemme da ist. Ich weiß nicht einmal, in welchen Kontinent wir uns aufhalten werden. [...]" (Genia Schwarzwald an Karin Michaelis, Zürich, 30. Juli 1938)

Schwarzwald, Eugenie zeigen

Dr. Eugenie Schwarzwald hatte am 17. März eine Vortragsreise nach Dänemark angetreten, bei der sie auch ihre langjährige Freundin, die Schriftstellerin Karin Michaelis, besuchte. Sie kehrte nicht mehr nach Wien zurück, sondern blieb in Zürich. Ihr Ehemann "Hemme", Hermann Schwarzwald, befand sich noch in Wien. Im September 1938 wurde die 1901 gegründete Schwarzwaldschule endgültig geschlossen, und das Vermögen durch einen Stillhaltekommissar liquidiert. Am 29. September flohen Hermann Schwarzwald und Maria Stiasny, Freundin und "Admistratorin" der Schule, in die Schweiz.

"[...] ich versuche zusammen mit allen anderen einen Weg zu finden, um mit unserer Hilfe Dein und Hemme's Leben unter den unerträglichen Umständen erträglich für Euch zu gestalten, in der heutigen unerträglichen Welt, in der wir leben müssen. [...] Wie Dir bekannt ist, ist die Quotenzahl für zwei Jahre oder mehr ausgefüllt. Doch wäre es möglich, außerhalb der Quote, ein Immigrationsvisum zu bekommen, welches Dir gestatten würde, auf unbegrenzte Zeit im Lande zu bleiben, weil Du den Lehrern zugehörst, welche wie die Geistlichen die einzigen sind, die nicht den gewöhnlichen Quoten-Gesetzen unterstehen [...]. Die Bedingung ist ein Job als Lehrer hier. Der einzige Ort, wo so ein Job zu haben ist, ist in der "University of Exile", ein Zweig der New School of Social Research, in New York, gegründet von Dr. Alvin Johnson vor ein paar Jahren und mit einem Lehrkörper, bestehend aus erstklassigen Leuten, deutscher, italienischer und anderer Nationalität, die aus politischen Gründen brotlos wurden. [...]" Ich werde persönlich bei Dr. Johnson für Dein Honorar als lecturer gutstehen und so in allernächster Zeit Eure Papiere in Ordnung bringen. Dann sollst Du für Dich und Mariedl um Visa ansuchen und um ein Besuchervisum für Hemme. [...] Im Besitz Eurer Visa könnt Ihr jederzeit Europa verlassen, wenn es dort unmöglich wird zu bleiben. [...] Genia, der Verlust der Muttersprache ist eine Tragödie, die man gar nicht genug in Anschlag bringen kann. Ich weiß davon ein Lied zu singen. Mir ist natürlich klar, daß Ihr unter Geldknappheit leidet, nachdem Ihr in Österreich Alles verloren habt und als einzige Sicherheit Hemme's Pension dient. Das ist etwas, was mir unerträglich ist zu denken. [...] Ich möchte Dir 100 Dollar monatlich schicken ... Es ist nicht viel, es verlangt kein besonderes Opfer meinerseits; es wird auch zu meinem eigenen Seelenfrieden beitragen, sogar sehr stark, wenn Du es hast. Ich bitte Dich dringend, es anzunehmen, mir dieses Vergnügen zu bereiten. Du hast Dein ganzes Leben für andere verschwendet und mußt dabei gelernt haben, daß menschliche Dankbarkeit die seltenste aller menschlichen Tugenden ist. Aber Genia, es ist auch eine solche Tugend, etwas anzunehmen als etwas zu geben. [...]" (Dorothy Thompson an Genia Schwarzwald, 31. Mai 1939 - Übersetzung)

Die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson (1894-1961), Frau des Literaturnobelpreisträgers Sinclair Lewis, die von 1930-1934 als Pressekorrespondentin in Berlin lebte, hatte Genia Schwarzwald bereits in den 20er Jahren kennengelernt. 1934 wurde Thompson vom NS-Regime aus Deutschland ausgewiesen. In ihrer Kolumne in der "New York Herald Tribune" attackierte sie das faschistische Deutschland und setzte sich persönlich für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen ein.

"Dein Brief vom 31. Mai ... er hat sich zu Hemmes und meiner Lieblingslektüre entwickelt. [...] Nach einem langen und arbeitsreichen Leben hat man keine besondere Lust, einen neuen Continent zu erobern. Wenn ich meinem Freunde Cushing bei seinen Bestrebungen trotzdem nicht hindernd in den Arm gefallen bin, so geschah es nur, weil wir wirklich in einer traurigen Lage sind. Das schlimmste ist die Arbeitslosigkeit, aber auch die materiellen Einschränkungen sind wir noch nicht gewohnt. Wir können - das ist ein seltenes Glück - unser Lebtag in der Schweiz bleiben und eventuell auch in England, aber in beiden Ländern gibt es keine Arbeitserlaubnis. [...] ... aus Rücksicht und Takt hast Du einige Dinge unerwähnt gelassen, die wichtig sind und an die Du sicher gedacht hast: die steigende Flut des Antisemitismus, die Du für mich fürchtest und meine Krankheit, von der Du gehört hast. [...] ... ich werde mich um Visa - unter Berufung auf die von Dir mitgeteilten Details - bewerben und hoffe, daß Du uns die Einwanderungspapiere verschaffen wirst. Dann werde ich alles in eine Schublade stecken und in Europa warten. Sollte der Krieg kommen, so muß ich bleiben. Ich fühle, daß ich dann hier viel zu tun haben werde. Sollte uns der Friede so bewahrt bleiben, so daß er den Faschismus mit sich führt, würde es mich glücklich machen, daß wir bei Euch auf Zuflucht rechnen können. [...] Bei all diesen Erwägungen, stärkt mich Dein gütiges Hilfsangebot [...] Du mußt mir nur fest versprechen, daß diese Rente, die Du in Vertretung des Staates Österreich auf Deine Schultern ladest, sofort aufzulassen, wenn sie Dir irgendwie Mühe macht." (Genia Schwarzwald an Dorothy Thompson, 27. Juni 1939)

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