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KAPITEL

1. Die politische Natur und Tradition des Widerstandsbegriffs
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2. Positives Recht und Naturrecht
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3. Die romantische Frage nach dem Widerstand der Poesie
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4. Fragwürdige Darstellbarkeit des Zeitgenossen
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5. Parallelität von politischer und ästhetischer Neuorientierung
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6. Weltanschauliches Engagement und ideologische Skepsis
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7. Nachkriegssituation
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8. Differenz und Übereinstimmung zwischen Exil- und Widerstandsliteratur
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Literatur und Widerstand


Die Widerstandsliteratur ist in Österreichs nicht zur vollen Entfaltung der in ihr angelegten Möglichkeiten gelangt. Sie hat keine solchen Zentralgestalten hervorgebracht wie einen Bertolt Brecht in Deutschland, einen Jean-Paul Sartre in Frankreich. Es gibt kein Werk, das für die Auseinandersetzung mit dem Faschismus "klassisch" geworfen wäre. Ein Roman, der die ganze Entwicklung von 1934 bis 1945 in ihren typischen Erscheinungen, Figuren und entscheidenden Wendungen behandelt, fehlt. Die Ursache dieses Mangels liegt nicht allein darin, dass einige der begabtesten Schriftsteller den NS-Verfolgungen zum Opfer gefallen sind und viele andere in der Emigration physisch und moralisch zermürbt worden sind.

Die österreichische Literatur war auf die Konfrontation mit dem Faschismus verhältnismäßig schlecht vorbereitet, obwohl es nicht an Stimmen mangelte, die seit den 20er Jahren bereits vor dessen Aufstieg warnten wie z. B. Joseph Roth in zahlreichen journalistischen Texten und im Roman "Das Spinnennetz" (1923), Hugo Bettauer in "Die Stadt ohne Juden"(1922), der dann bekanntlich 1925 von einem Nationalsozialisten ermordet wurde oder Ödön von Horváth in seinen "Volksstücken" (z. B. Sladek oder Die schwarze Armee, 1928; Italienische Nacht, 1931) und späten Romanen, z. B. "Ein Kind unserer Zeit" (1938), in dem zentrale Aspekte des faschistischen Sprachgebrauchs wie die Mythisierung des Mannes als Soldaten, das "Tödliche der durch inhumane völkische Ideologie legitimierten soldatischen Existenz entlarvt" wird (Bartsch 2000, 167). Viele der Schriftsteller, die 1938 das Land verlassen mussten, hielten den österreichischen "Ständestaat" für eine vorübergehende Maßregel, der gegenseitigen Selbstzerfleischung der Österreicher ein Ende zu machen. Sie sahen die Gemeinsamkeiten mit dem Hitlerfaschismus nicht, der ebenso die Überwindung des Klassenkampfes auf seine Fahnen geschrieben hatte. Ihnen musste entgehen, dass der Faschismus nicht nur ein Österreich aufgezwungenes Produkt der deutschen Entwicklung war. Oft war diese Blindheit gegenüber den faschistischen Tendenzen im eigenen Land mit dem berechtigten Protest gegen die nationale Vergewaltigung Österreichs durch Hitlerdeutschland verbunden. Der preußisch-nationalistischen Tradition wird eine österreichisch-kosmopolitische entgegengestellt. Für Franz Werfel hat der "österreichische Geist" das Lehramt inne, "die kleinen Völker Mittel- und Südosteuropas in den Kulturkreis des fortgeschrittenen Europa einzuverleiben". Der Nationalsozialismus dagegen ist die "Verwirklichung des Grillparzer-Ausspruchs: Von der Humanität durch die Nationalität zur Bestialität" (Breycha-Vauthier 1962, 147 f.).

Solche Auffassungen bieten bei aller wirklichen Erschütterung und Gequältheit Werfels, die immerhin in seinem Fragment gebliebenen Roman <|>Cella oder die Überwinder</|> (1939/1955) in ungewöhnlich scharfe Zeichnungen der österreichischen Realität seit 1934 und der Notwendigkeit, Widerstand zu leisten, eingemündet sind, keine rechte Grundlage für eine durchgreifende Kritik des Faschismus. Widerstand wird zwar angesichts der bedrohlichen Lage im März 1938 als notwendige Strategie erkannt, jedoch unter historisch fragwürdige, unzutreffende Prämissen (potentielle Achse zwischen Arbeiterbewegung und monarchistische Gegner des NS) gestellt. In anderen Texten legt sich wiederum eine psychische Wahrnehmungsebene über die konkret historische, z. B. wenn es heißt: "Die ungeheuerliche Wirklichkeit, dieses Visionengewimmel eines träumenden Quäldämons hat mich gepackt an der Kehle bei Tag und Nacht ..." (Werfel 1976, 14) Für die politisch bewussten antifaschistischen Schriftsteller dagegen war der Faschismus kein unbegreifliches Verhängnis und keine unauflösliche Schuld, wie er in der Nachkriegsliteratur immer wieder dargestellt wird.

"Eine der wichtigsten Aufgaben, mit denen Grollmüller auch mich betraute, bestand in dem Versuch die erbitterte Arbeiterschaft auf unsre Seite zu ziehen und sie für den Gedanken des allgemeinen Widerstands zu gewinnen. Es handelte sich dabei um den sogenannten Republikanischen Schutzbund<, der nach dem kurzen, so unglückseligen Bürgerkrieg aufgelöst worden war..." (Werfel, 1955/1982, 100)

Es stimmt, dass die österreichische Literatur kein "klassisch" gewordenes Werk für die Auseinandersetzung mit dem Faschismus bis 1945 hervorgebracht hat. Dennoch hat sie eine beachtliche Zahl an Texten vorzuweisen, die im Schatten der "großen" deutschen Autoren (B. Brecht, L. Feuchtwanger, H. Mann, A. Seghers) sich sehr wohl dem Phänomen des Faschismus, insbesonders seiner Ausbildung und den Formen seines sich Fest- und Durchsetzens in Österreich wie in Deutschland gestellt haben. So wird - verstellt durch die Habsburg-Romane - das essayistische Werk Roths in Paris, das in Aufsätzen wie "Das Autodafè des Geistes" (1933) oder "Das Dritte Reich. Die Filiale der Hölle auf Erden" (1934) oder in der prägnanten Umfrage-Antwort "Unerbittlicher Kampf" (1934) geradezu literarisch-politische Manifeste nötiger und möglicher Widerstandshaltungen hervorgebracht hat, allzu leicht übersehen oder noch immer nicht genug gewürdigt. Ferdinand Bruckner hat mit seinem Schauspiel "Die Rassen" (1933/34), um ein weiteres prominentes Beispiel zu nennen, "seine antifaschistische Position auch literarisch festgelegt" und von sich aus die Trennung vom Fischer-Verlag (Brief an Gottfried Bermann-Fischer, 12.1. 1934) verlangt. Im Schauspiel gelingt ihm eine überzeugende Bloßlegung des rassistischen Diskurses gerade dadurch, dass er dessen sprachlichen Formeln in die neue Realität einer unmöglich gewordenen Freundschaftsbeziehung zwischen Deutschen und Juden/Jüdinnen umsetzt und die Mobilisierung für die künftige Konfrontation, für die Ausgrenzung des "Fremden" und Überhöhung des "Nationalen" bereits 1933 deutlich markiert: "Aufs Biologische kommt es an, nicht auf Gott ... Die Nation verlangt-/- die Reinheit unseres innersten Bestandes ..." Oder: "Endlich weiß der Deutsche das ihm Gemäße: vom Kampf lernt man, und nicht vom Büffeln. - Sag das dem Juden." (Bruckner, 1933/1990, 439 bzw. 383) Auch Canetti sollte in diesem Kontext nicht übersehen werden, der ja seit dem Justizpalast-Brand vom Juli 1927 sich der Analyse und den Funktionsweisen von Massen und deren Manipulation durch Macht zugewendet hat und dessen Roman "Die Blendung" (1936) zwar nicht als Widerstandsroman gelesen werden kann, doch aber als Roman, der den Aufstieg des Faschismus subtil mitreflektiert.

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