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KAPITEL

1. Die politische Natur und Tradition des Widerstandsbegriffs
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2. Positives Recht und Naturrecht
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3. Die romantische Frage nach dem Widerstand der Poesie
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4. Fragwürdige Darstellbarkeit des Zeitgenossen
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5. Parallelität von politischer und ästhetischer Neuorientierung
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6. Weltanschauliches Engagement und ideologische Skepsis
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7. Nachkriegssituation
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8. Differenz und Übereinstimmung zwischen Exil- und Widerstandsliteratur
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9. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Literatur und Widerstand


Die Vorstellung, dass die schöne Literatur als solche, die Poesie (womit nicht nur die Lyrik gemeint war) in einem Verhältnis der Opposition, des Widerstandes zur prosaischen Wirklichkeit stehe, bildete sich mit der Romantik heraus. Die Romantik ist freilich nicht so einheitlich und widerspruchsfrei, so "wunderbar", "restaurativ" oder "universalprogressiv" wie sie lange Zeit wahrgenommen wurde. (So erscheinen Johann Wolfgang Goethes 'Willkommen und Abschied', Heinrich Heines 'Loreley' und Novalis' 'Hymnen an die Nacht', unter stilgeschichtlichen Merkmalen betrachtet, als durchaus "romantisch", wobei letzteres meist undefiniert bleibt.) Die romantische Bewegung nahm in England (wo sie mit der Chartistenbewegung und dem Freiheitskampf des griechischen Volkes sympathisierte), in Frankreich (wo die Romantiker gegen die die politische Restauration der Bourbonen stützenden "Akademiker" auftraten) und Deutschland (wo die Romantik mit Heinrich von Kleist, Theodor Körner und den Gebrüdern Schlegel Schulter an Schulter mit den deutschen Burschenschaften und den alten feudalen Machthabern in die antinapoleonischen "Befreiungskriegen" hineinschlitterte und eine retrograde Prägung erfuhr) einen höchst unterschiedlichen Verlauf.

Und doch stand auch an der Wiege der deutschen Romantik u. a. eine Schrift, nämlich Immanuel Kants 'Zum ewigen Frieden', die Friedrich Schlegel zu einem programmatischen Traktat 'Versuch über den Republikanismus. Veranlasst durch die Kantische Schrift zum ewigen Frieden' (1796) Anlass gab. In diesem Traktat wird erstmals der Akzent auf die Verbindung von Republikanismus und Demokratie gelegt und dies immerhin zu einem Zeitpunkt, als die Französische Revolution in eine monarchisch-buonapartistische Verwaltung zu kippen begann, die letzten Reste der Mainzer Republik, an der bekanntlich der Dichter und Philosoph Georg Forster maßgeblich mitgewirkt hatte, liquidiert waren und die Jakobinerprozesse in Deutschland und Österreich ihren Höhepunkt erlebten: "Der Republikanismus ist also notwendig demokratisch" und die "politische Repräsentation" sei ein "unentbehrliches Organ des Republikanismus" (Schlegel, Republikanismus, 1796/1978, 10 f.). Damit wurde aber auch deutlich Widerstand gegen das herrschende feudal-absolutistische System formuliert, das außerdem als "Antistaat", als "ungleich größeres politisches Übel, als selbst Anarchie" definiert wurde (Schlegel, "Republikanismus", 20)

"An die Stelle eines Republikanismus mit repräsentativer Regierungsform, die bei Kant letztlich auf eine konstitutionelle Monarchie hinausläuft, setzt Schlegel die radikale Demokratie, das heißt: eine Demokratie von unten. Der Gedanke der Volkssouveränität impliziert, daß Schlegel von dem Willen einer Mehrheit ausgeht, die keine ständische Gliederung mehr kennt." (Meixner 1983, 185)

In der deutschen Literatur waren solche Positionen freilich stets Minderheitenpositionen und Schlegels Triade von der "Französischen Revolution", "Fichtes Wissenschaftslehre" und "Goethes Meister" als die "größten Tendenzen des Zeitalters" (Schlegel, "Athenäum", 1798/1978, 99) stieß nicht nur auf Skepsis, etwa bei Novalis, sondern wurde von ihm selbst alsbald zurückgenommen. Auch erweisen sich die Differenzen zwischen Friedrich Schillers "Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen" und Novalis' Aphorismensammlung "Blütenblätter" in weiterer Folge als polarisierend. Während Schiller von einer geradezu soziologisch anmutenden Analyse der Auswirkungen der in der bürgerlichen Gesellschaft fortschreitenden Arbeitsteilung auf den Menschen ausgeht, die Entfremdung - wie nach ihm Friedrich Hölderlin in seinem "Hyperion" - als Zerstückelung, Zerreißung des menschlichen Ganzen diagnostiziert und das Schöne als Vergegenwärtigung verlorenen inneren Zusammenhangs und Vorgriff auf eine glücklichere Zukunft des Menschen postuliert, stellt Novalis dem Alltags-Philister die Poesie und mit ihr eine Aristokratie der Fühlenden und Wissenden entgegen; ihre Utopie finden sie in den organischer anmutenden Zuständen des christlichen Mittelalters mit seiner homogenen Ständeverfassung. Und an noch einem Text entzündete sich das Thema der ästhetischen und politischen Existenz des Menschen, an Wilhelm Heinses vielgelesenen und vielgeschmähten Roman "Ardinghello" (1787), der immerhin Hölderlins Entwürfe zum "Hyperion" seit 1792 nach einer kurzen Begegnung in Kassel beeinflusst und mit seinem "hinreißenden Immoralismus", seiner These, dass der "Mensch ein Raubtier" sei (Mayer 1986, 209 f.) die ästhetischen Positionen und Urteile Schillers - "eine sinnliche Karikatur, ohne Wahrheit und ohne ästhetische Würde" (Schiller, "Über Naive und sentimentalische Dichtung", zit. nach Mayer 1986, 211) - nachhaltig geprägt hat und zwar im Sinn einer Distanznahme zu den triebbestimmten, vitalistischen (aber auch anarchischen, ästhetisch schwer strukturierbaren und damit tendenziell zeit-kritischen) Formen menschlichen Daseins und Handelns.

Was Schiller und Novalis gemeinsam ist, ist das gestörte Vertrauen zum äußeren, werkeltäglichen, gesellschaftlichen Gang der Dinge: Ihm muss die Poesie, muss das Schöne von nun an einen prinzipiellen Widerstand entgegensetzen. Diese Opposition des Schönen gegen die bürgerlich-profane Realität bleibt ein Grundmotiv nahezu aller poetologischen Konzeptionen und ästhetischen Theorien bis in unsere Gegenwart. So formuliert Hans Magnus Enzensberger im Vorwort zu dem von ihm eingerichteten epochenmachenden "Museum der modernen Poesie" (Frankfurt am Main 1960):

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