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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Zur Situation der Theaterschaffenden in Österreich nach dem "Anschluss" - Wege ins Exil
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3. Überblick
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4. Österreichisches Exiltheater in Großbritannien
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5. BBC
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6. Das österreichische Exiltheater in den USA
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7. Hollywood
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8. Anhang
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Ulrike Oedl:
Theater im Exil - Österreichisches Exiltheater


Betrachtet man das deutschsprachige Exiltheater in den USA, so stößt man zunächst auf ein scheinbares Paradox: In kein anderes Land sind so viele deutschsprachige Theaterleute emigriert und doch entwickelte sich in den USA kein deutsches Exiltheater von größerer Bedeutung. Die Erklärung hierfür liegt im Wesentlichen im amerikanischen Theatersystem begründet. Staats- oder Stadttheater, die öffentliche Förderungen erhielten, gab es nicht. Die Privatstruktur der Theater zwang den Theaterunternehmer dazu, ausschließlich gewinnorientiert zu spielen, wollte er sein Theater länger als eine Saison am Leben erhalten. Um die Jahrhundertwende existierte zwar, bedingt durch die enorme Zahl an deutschen Einwanderern, ein Interesse an deutschsprachigem Theater, das findige Theaterunternehmer durch die Organisation von Gastspielen prominenter Schauspieler wie Josef Kainz, Adele Sandrock, Adolph Sonnenthal zu befriedigen wussten. Zu dieser Zeit gab es in New York drei bis fünf deutschsprachige Theater, die den Ort für diese Auftritte boten. Aber auch andere amerikanische Großstädte wurden bei diesen Tourneen besucht. Strapaziöse Unternehmungen gewiss, jedoch für die Künstler und die Theaterunternehmer gleichermaßen äußerst einträglich. Mit dem Ersten Weltkrieg erlosch das Interesse am deutschsprachigen Theater vorerst. Einzig Max Reinhardt vermochte mit seinen groß aufgezogenen Gastspielreisen seinen bereits 1912 begonnenen Erfolg nach Kriegsende noch fortzuführen.

Obwohl zwischen 1933 und 1945 mehr als 500 verfolgte Schauspieler, Regisseure, Autoren, Bühnenbildner - und nicht zu vergessen - Autoren in den USA lebten, kam es in diesen Jahren zu keiner dauerhaften Neugründung. (Marx/Trapp 1999, 397) An entsprechenden ambitionierten Plänen mangelte es nicht, sie alle scheiterten jedoch nach kürzerer oder längerer Zeit. So verhandelte etwa der deutsche Regisseur Erwin Piscator 1938 erfolglos mit dem amerikanischen Impresario Gilbert Miller wegen einer Bühnenfassung von Tolstois "Krieg und Frieden", Miller verlor einfach das Interesse daran. Mit der Gründung des "Dramatic Workshop" 1939 an der New Yorker "School for Social Research", gemeinsam mit seiner aus Wien stammenden Frau, der Tänzerin und Choreographin Maria Ley-Piscator, fand Piscator schließlich einen anderen Wirkungskreis. Und damit vermochte er, betrachtet man die Reihen namhafter Schauspieler (Marlon Brando, Rod Steiger, Tony Curtis, Harry Belafonte, Paul Newman, u. a.), die aus dem "Dramatic Workshop" hervorgingen, für das amerikanische Theater, besonders für die Off-Theaterszene, bedeutende Impulse zu setzen. Neben dem zu Europa völlig unterschiedlich strukturierten Theatersystem, an dem viele der europäischen Theaterleute scheiterten, kam auch noch ein immenser Anpassungsdruck hinzu. Gerade in den USA erwartete man von Emigranten, dass sie sich wie Immigranten verhielten. Bereitschaft zur Assimilation wurde genauso vorausgesetzt wie der Gebrauch der englischen Sprache, besonders für viele Schauspieler eine unüberwindliche Hürde. (Naumann/Trapp 1999, 1114)

Town Hall New York zeigen
Piscator, Erwin zeigen

Max Reinhardt

Wie sehr auch prominente und in ihrem Exilland bereits bekannte Theaterleute vom Elend und den Entbehrungen des Exils betroffen werden konnten, zeigt das Exilschicksal Max Reinhardts. Seine Person und seine Arbeit repräsentieren in einzigartiger Weise die widersprüchliche Entwicklung des bürgerlichen Theaters im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Krise des Theaters war evident, konnte den rasanten gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen und Umbrüchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig mehr als einen überholten, im wesentlichen aus dem 19.Jahrhundert stammenden schwerfällig geworden Apparat entgegensetzen, der weder in ästhetischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht den neuen Anforderungen genügte.

Reinhardt, Max zeigen
Reinhardt, Max zeigen

Auswege wurden gesucht, Berthold Viertels Theaterkollektiv "Die Truppe" in Berlin ist ein, wenn auch gescheitertes Beispiel dafür, ästhetisch und strukturell neue Wege zu gehen. (Völker 1988, 14-18)

Viertel, Berthold mit Mitgliedern seines Ensembles zeigen
Viertel, Berthold zeigen
German and Austrian Exiles zeigen
Viertel, Berthold zeigen

Max Reinhardt wählte einen anderen Weg. Seine Kunst war keine sozial engagierte, er ging mit der Zeit und ihren Widersprüchen nicht in einem oppositionellen Sinn um, sondern versuchte diese in der "neutralen" Kunst aufzuheben. Er ist einer der letzten Erneuerer und Vollender des bürgerlichen Illusionstheaters, indem er Schauspielstars schuf, aber auch die Ensemblekunst weiterentwickelte, als Begründer eines modernen Regietheaters zu sehen ist und es wie kaum ein anderer verstand, sich technischer Entwicklungen für sensationelle, dramaturgisch geschickte Raum- und Lichteffekte zu bedienen. Hierin war er für viele der exilierten Theaterleute ein Bezugspunkt, viele von ihnen verdankten ihm ihre Karriere oder hatten zumindest an einer seiner Bühnen gearbeitet. Die Tatsache allerdings, dass seine Bühnen (darunter Deutsches Theater Berlin, Großes Schauspielhaus Berlin, Kammerspiele, Komödie am Kurfürstendamm, Theater in der Josefstadt, Salzburger Festspiele) private Geschäftstheater waren, die konzernähnlich strukturiert, auf kommerziellen Gewinn hin ausgerichtet und künstlerische Überlegungen damit keinesfalls kollidieren durften, war für nicht wenige von ihnen Ausgangspunkt für polemische Überlegungen, wie Berthold Viertel oder Fritz Kortner. Manche vollzogen den Bruch mit Reinhardts Theaterimperium und wandten sich gesellschaftskritischeren Positionen zu.

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