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KAPITEL

1. Biographie: Raoul Hausmann - der Dadasoph
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2. Hausmann und seine Zeit
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3. Dadü Dada!
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4. Manifeste
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5. Der neue Mensch
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6. Hausmann im Exil
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7. Die wichtigsten Buchprojekte
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8. Optophonetische Poesie
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9. Photographie
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10. Der größte Tänzer aller Zeiten
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11. Satire
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12. Anhang
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Gabriele Frankl:
Raoul Hausmann (1886-1971)


Hausmanns Emigration begann zunächst ungeplant. Als im Juli 1932 die NSDAP bei den Reichstagswahlen mit 37,4% zur stärksten Partei Deutschlands wurde, änderten sich die Lebensbedingungen und engten die Phantasieräume Hausmanns ein, der seine Urlaube nun nicht mehr in Deutschland, sondern auf Ibiza verbringen wollte. Die Erfahrungen mit zwei jüdischen Frauen, Hedwig Hausmann und Vera Broido, im Sommeraufenthalt in Jershöft 1932 waren warnende Anzeichen für die sich verschlimmernde politische Situation in Deutschland, die Hausmann durch eine Schlägerei mit 'Dorflümmels' bewusst wurde, wie er seiner ersten Ehe- und dritten Frau Elfriede aus den Ferien schilderte:

"Aber die Herren Lümmels haben [...] gesagt, sie hassten mich schon lange wegen meiner 3 Frauen und ausserdem müssten alle Juden verschwinden. Das ist übrigens Dorfmeinung. [...] Na, ich denke, wir waren das letzte Mal in Pommern." (Hausmann 1932, In: Züchner, 1998, 435)

Der Gedanke, mit der Abreise nach Ibiza auch zum letzten Mal in Berlin gewesen zu sein, war noch nicht gedacht, als Hausmann, Hedwig und Vera am 9. März 1933, ungefähr fünf Monate nach der enttäuschenden Rückkehr aus Pommern, zur nächsten Urlaubsreise aufbrachen. Erst Jahre später resümierte Hausmann als sein Alter ego Gal die Erlebnisse seiner Emigration im Roman "Hyle".

"Das Leben in Berlin? Seit Hitler Reichskanzler wurde - sieht man überall, hört man überall nur "Juda verrecke, Deutschland erwache". [...] Man schlägt hier und dort Intellektuelle halbtot, die Krankenhäuser weisen sie ab, wollen solche Verbrecher nicht behandeln; im Geheimen gehen jüdische Aerzte wie Kobler unter Lebensgefahr, ihnen Hilfe leisten - es ist zu spät. [...] Niemand, der nicht ein elender kleiner Spiessbürger oder ein grosser Lügner und Verbrecher ist, kann seines Lebens mehr sicher sein. Leben in diesem Berlin, diesem Deutschland ist Unmöglichkeit geworden. Blut und Boden, arische Rasse, Volksgemeinschaft - ebenso viele Unbestimmtheiten genügen, um Hunderttausende zu martern, zu erschlagen, in Todeslager zu stecken. Brennende Synagogen, Plünderungen, Massenverhaftungen "Degenerierter" - das sind die ersten Anzeichen eines neuen tausendjährigen Reiches, in dem der anständige arische Deutsche Alleinherrscher sein soll. Gal beschliesst Nachts um zwei Uhr, den achten März neunzehnhundertdreiunddreissig, Berlin zu verlassen. Die Koffer werden gepackt, Geld von der Bank mit Erlaubnis der Devisenstelle geholt - sehr wenig - und um zehn Uhr Nachts, den neunten März, verlassen sie zu Dritt diesen Ort des Schreckens. Für immer. Ueber Paris, nach Spanien. Isla de Ibiza." (Hausmann, vermutlich 1951, In: Züchner, 1998, 445 f.)

Das erhoffte paradiesische Leben im sonnigen Süden fanden sie nicht, als sie Ende März 1933 San Antonio auf Ibiza erreichten. Die durch die lange Anreise stark beanspruchten finanziellen Mittel erzwangen eine bescheidene Lebensweise, die, je ungeplanter sich der Urlaub verlängerte, desto stärker auf den geistig-intellektuellen Bereich übergriff. Während letzterem durch Büchersendungen der in Berlin verbliebenen Elfriede entgegengewirkt werden konnte, war die physiologisch notwendige Versorgung schwieriger sicherzustellen, wenngleich in den Paketen aus Berlin auch Lebensnotwendiges zu finden war. Denn zwischen den notwendigen Ausgaben und den spärlichen Verdienstmöglichkeiten als Schriftsteller und Maler herrschte ein Ungleichgewicht, das ohne Unterstützungen durch Dritte nicht ausbalanciert werden konnte. An eine Rückkehr nach Berlin war nicht zu denken, wohl aber daran, die seit dem 28. Juli 1930 geführte tschechische Staatsbürgerschaft für ein günstiges Leben mit höheren Einkünften in Prag zu verwenden. Eine Umsetzung dieses Gedankens scheiterte am Fehlen des Reisekapitals, und Hausmann bemühte sich weiter 'aus Nichts etwas zustande zu bringen.' (Hausmann 1934, In: Lindlar/Bartsch/Koch 1996, 309). Ergebnis waren photographische Architektur-, Natur- und Menschenstudien, durch Vera Broido unterstützte Recherchen zur Geschichte Ibizas, Pläne für ein Fotojahrbuch und in Zusammenarbeit mit Walter Segal ein Text über die Architektur der Insel.

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