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KAPITEL

1. Biographie: Raoul Hausmann - der Dadasoph
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2. Hausmann und seine Zeit
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3. Dadü Dada!
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4. Manifeste
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5. Der neue Mensch
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6. Hausmann im Exil
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7. Die wichtigsten Buchprojekte
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8. Optophonetische Poesie
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9. Photographie
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10. Der größte Tänzer aller Zeiten
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11. Satire
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12. Anhang
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Gabriele Frankl:
Raoul Hausmann (1886-1971)


Als Richard Huelsenbeck Anfang 1918 den Dadaismus nach Berlin transferiert, wird Hausmann neben Johannes Baader, George Grosz, John Heartfield, Wieland Herzfelde, Hannah Höch und Franz Jung zu den wichtigsten Aktivisten. Er ist Mitherausgeber der Zeitschriften "Club Dada" und "Dada", beteiligt sich an der Dadaistenschau (28.-30.4. 1919) und nimmt an der ?Ersten Internationalen Dada Messe? (30.6.-25.8. 1920), sowie an vielen anderen Dada-Veranstaltungen teil. Mit Plakat- und phonetischen Gedichten, Manifesten, Pamphleten, Satiren (deren politischer Teil 1933 zur Aufnahme in die Liste der entarteten Künstler führt), mit innovativen Tänzen, der Erfindung der Photomontage gemeinsam mit Hannah Höch, oder der Sprengung des ?Kongresses zwecks Gründung einer Union international fortschrittlicher Künstler? (indem er im Hintergrund ein dadaistisches Manifest verliest und erklärt, dass er und seine Freunde gegen den Kongress, gegen dessen Ergebnis und gegen Menschenfresser seien, worauf sie, "O Tannenbaum" singend, den Saal verlassen), liefert Hausmann einen bedeutenden, jedoch meist verkannten Beitrag zu Dada Berlin. Darüber hinaus beschäftigte er sich u. a. mit den Anforderungen an und der Schnittkonstruktion von Bekleidungsstücken, die vor allem natürlich und bequem sein sollen, mit der sogenannten "Welteislehre", einer Theorie über die Existenz von Eis im Weltraum, der Auswirkung von Kraftfeldern auf das (Flug-)Verhalten von Vögeln und Bienen, oder mit dem sich langsam etablierenden Medium Film.

International Dada Archive zeigen

Nach der Erstarrung der berlinischen Dada-Bewegungen beschäftigt sich Hausmann ab 1921 mit dem 'PREsentismus', der eine Erweiterung der Sinnesfunktionen zum Ziel hatte, und veranstaltet mit dem Merz-Künstler Kurt Schwitters eine gemeinsame 'Merz-Antidada-PREsentismus-Tournee' nach Prag vom 6. bis 7. September 1921. Dabei gerät Schwitters in den mitreißenden Sog der Hausmannschen Lautgedichte und wird zur Schöpfung des !Portrait Raoul Hausmann' inspiriert, das später in 'Urlautsonate' umbenannt wird.

Der Raum der lautlichen Auseinandersetzungen Hausmanns erweitert sich ein Jahr später um eine neue Dimension, als Hausmann, um die organische Verbundenheit von Auge und Ohr zu beweisen, eine Maschine zur Umwandlung von Ton in Licht und vice versa erfindet - das Optophon. Der Traum, dadurch zum 'modernsten Mann im Lande' zu werden, wird nie Realität. Ein Versuch zur Patentierung scheitert am Unverständnis der Behörden gegenüber der Sinnhaftigkeit der Konstruktion, so dass Hausmann kurzerhand, und mit Hilfestellung des Ingenieurs Daniel Broido, eine Umfunktionierung zur Rechenmaschine durchführt, die am 28. Mai 1936 das englische Patent 'on photoelectric bases' als Nº446338 erhält. Auch Moholy-Nagy, bislang ein Befürworter der Werke Hausmanns, spricht ihm nicht den erhofften Ruhm zu, als er in seinem Buch "Malerei Fotografie Fil" einen anderen optophonetisch hervorhebt.

Enttäuscht über die ständige Missachtung seiner Person und seiner Werke und verbittert über den ausbleibenden Erfolg, zieht sich Hausmann Mitte der 20er Jahre aus der Öffentlichkeit zurück und versucht sich verstärkt als Schriftsteller und Photograph zu etablieren. Die Nord- und Ostseeurlaube von 1926 bis 1932, die er gemeinsam mit zwei oder drei seiner Frauen verbringt, werden zu Zeiten schöpferischer Hochkonjunktur. Das dabei gelebte Prinzip der multiplen Beziehungen soll die bürgerliche Familienform und, in Anlehnung an Otto Gross und Franz Jung, den "Konflikt des Eigenen und des Fremden" überwinden, um schließlich alle Eifersüchte, Ängste, Pflichten, Kindheitskomplexe und Besitzansprüche zu überwinden, um ein Leben in Freiheit und Harmonie zu führen. In seiner ersten Ehe mit der um zehn Jahre älteren Geigerin Elfriede Schaeffer, die 1908 geschlossen wird und der auch die Tochter Vera (geb. 1907 - gest. 1992) entstammt, gelingt dies, wenn auch nur sehr schmerzhaft für die beteiligten Frauen, für sieben Jahre, als Hausmann von 1915 bis 1922 der Ehe die turbulente Beziehung mit der Dadaistin Hannah Höch beifügt. 1919 nimmt Hausmann die tschechische Staatsbürgerschaft an, wahrscheinlich um sich von Elfriede scheiden lassen zu können, und heiratet 1923 die Malerin Hedwig Mankiewitz. Ebenfalls sieben Jahre funktioniert die Dreierbeziehung mit der Russin Vera Broido, zwanzig Jahre jünger als Hausmann, und der zweiten Ehefrau Hedwig, bis Broido sie 1934 verlässt. Die Jahre nach 1939 verbringt Hausmann ebenso mit zwei Frauen - der Ehefrau Hedwig und der jungen Französin Marthe Prevot.

Die sich zuspitzende politische Situation in Deutschland erschwert das Leben mit zwei jüdischen Frauen, Hedwig und Vera, und Hausmann, inzwischen mit nahezu allen Dadaisten-Kollegen zerstritten, verlässt 1933 mit den beiden Berlin, um einen längeren Sommeraufenthalt auf Ibiza zu verbringen. Dieser wird jedoch zur Emigration mit rekursivem Charakter:

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