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KAPITEL

1. Biographie: Raoul Hausmann - der Dadasoph
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2. Hausmann und seine Zeit
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3. Dadü Dada!
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4. Manifeste
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5. Der neue Mensch
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6. Hausmann im Exil
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7. Die wichtigsten Buchprojekte
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8. Optophonetische Poesie
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9. Photographie
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10. Der größte Tänzer aller Zeiten
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11. Satire
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12. Anhang
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Gabriele Frankl:
Raoul Hausmann (1886-1971)


Mit insgesamt rund 700 Seiten ist das autobiographische Hyle nicht nur quantitativ Hausmanns monumentalstes Buchprojekt. Begonnen im Dezember 1926, schildert es auf 402 Seiten die Jahre bis 1933, dem Emigrationsjahr. Es wurde allerdings nie veröffentlicht und existiert lediglich in Manuskriptform in der Berlinischen Galerie. Das erste Kapitel von Hyle II wurde 1958 in der Zeitschrift "Akzente" publiziert, die Beschreibung des Ibiza-Aufenthalts von 1933 bis 1936 veröffentlichte der Heinrich-Heine-Verlag 1969 unter dem Titel "Hyle. Ein Traumsein in Spanien", wenn auch nur in gekürzter Form. Der Verlag ging jedoch kurz darauf in Konkurs, so dass die "Hyle"-Texte nur sehr beschränkt zugänglich sind. Unveröffentlicht blieben auch Aufzeichnungen aus den Jahren 1940 bis 1950, ca. 100 Blatt, sowie ein (ungefähr gleich langes) Typoskript mit der Notiz "Kampen, begonnen Dezember 26".

Demnach gilt im Folgenden besonderes Augenmerk "Hyle II", das Hausmann als seine "wichtigste Buchveröffentlichung in deutscher Sprache" empfand (Hausmann, In: Koch 1994, 127), wohl unter anderem deshalb, weil er darin die Persönlichkeit geliebter Menschen und seine eigene detailliert preisgibt, die Empfindungen in den ersten Emigrationsjahren, besonders aber die schmerzhafte Trennung von Vera Broido beschreibt. Ob die Namen der Protagonisten in einer späteren Überarbeitung aus Schutz der Intimsphäre oder ausschließlich aufgrund eines literarischen Kunstgriffs geändert wurden, bleibt offen wie die syntaktische Struktur und die Atmosphäre, in der "Gal" als Alter ego Hausmanns, "Die Kleine" als Hedwig Hausmann und "Ar" als Vera Broido agieren. Trotzdem ist das "Traumbuch" nicht reiner Lebensbericht, sondern ebenso Produkt "biographischer Phantasie":

"Obzwar das Buch ausgeht vom Leben einiger tatsächlich existierender Menschen, ist es doch notwendig Dichtung in der Führung der Wirklichkeit, die extraktmäßig gereinigt und gesteigert werden mußte." (Hausmann 1931, In: Erlhoff 1982, Texte 2, 217)

Unter anderem verzögerte dieser Reinigungsprozess das Ende der definitiven Niederschrift bis 1956 - Zeit genug, um mit zahlreichen Wort- und Reimspielereien zu experimentieren, um Volkslieder, Kinderreime, Redewendungen und Sprichwörter neben Kindheitserinnerungen, eigenen theoretischen Überlegungen, Auseinandersetzungen mit Gedankengut anderer und Zeitkritik in den Text zu integrieren. "Hyle, Hyle, gießt sich ejakulierend hin" (Hausmann 1969, "Hyle", 53), "erwirkt sich nicht im Nichts" (Hausmann 1969, "Hyle", 86), "werkelt wie in gärendem Kessel, bedeckt von Erziehung, Wünschen, Erfahrung. Oh, tiefe Ahnlosigkeit." (Hausmann 1969, "Hyle", 105)

In der Ansicht geschrieben, "dass Syntax und Grammatik Uniformen sind, die die Sprache abwerfen müsste" (Hausmann 1970, In: neue texte 36/37, 38), wird der die Unruhe von Person und Zeit spiegelnde, zwischen verschiedenen Erzählern und mitunter Sprachen wechselnde Wortschwall in "Hyle" hin und wieder dennoch von naiv formulierten Passagen gestört - um kurz darauf wieder mit Wortästhetik zu verwöhnen - denn "manchmal gibt die Grammatik mehr Sinn als der Sinn, den man ausspricht" (Hausmann 1969, "Hyle", 70).

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