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KAPITEL

1. Hermynia Zur Mühlen
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2. Ewiges Schattenspiel
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3. Als der Fremde kam
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4. Reise durch ein Leben
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5. Unsere Töchter die Nazinen
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6. Die Übersetzertätigkeit von Hermynia Zur Mühlen
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7. Anhang
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Wilhelm Kuehs:
Hermynia Zur Mühlen (1883-1952)


"Ewiges Schattenspiel"> erschien zuerst als Fortsetzungsroman vom 8.11. 1938 bis zum 7.3. 1939 in "Der Bund", Bern. Das "Prager Tagblatt" druckte den Roman vom 5.4 bis zum 4.4. 1939 bis zum 9. Kapitel als Fortsetzung ab. Als Buch erschien der Text erstmals 1943 bei Free Austrian Book in London, allerdings nicht in der deutschen Originalfassung, sondern als Übersetzung. In Buchform liegt die deutsche Version erst seit 1996 vor. (vgl. Altner 1997, 219)

"Ewiges Schattenspiel" ist der erste Teil einer Trilogie über die adelige Familie Herdegen, die nach dem Vorbild der "Forsythe-Saga" von John Galsworthy angelegt sein sollte. (vgl. Thunecke, 1996, 242) Es erschien aber nur noch der dritte Teil unter dem Titel "Als der Fremde kam".

Die Handlung dieses ersten Teils deckt den Zeitraum vom Wiener Kongress (1815) bis zur Revolution von 1848 ab. Das geistige Zentrum des Romans bildet Grand´maman Inez die mit ihrem unerschütterlichen Christentum, ihrem Glauben und Einsatz für Gerechtigkeit und Anstand. Jedes Familienmitglied untersteht ihren Befehlen und beugt sich ihren Urteilen. So verfügt sie etwa, dass ihr Enkel Stanislaus das Bauernmädchen Bozena heiraten muss. Grand´maman Inez sieht darin nur die Erfüllung ihrer Christenpflicht. Wie aber später klar wird, hat ihr Engagement für die Mitmenschen durchaus politische Aspekte. Da sie ihre Kinder und Enkel dazu erzieht, die christlichen Werte nicht nur als Lippenbekenntnisse zu betrachten, macht sie sie indirekt für die sozialistischen und revolutionären Ideen jener Zeit empfänglich. So gerät Joseph in den Ruf eines "roten Grafen", weil er sich für die Freilassung des Sohns der Köchin einsetzt, der wegen revolutionärer Umtriebe im Gefängnis sitzt. Die Ignoranz der Obrigkeit treibt Joseph so weit, seine Karriere im Staatsdienst zugunsten seines Einsatzes für die Notleidenden zu opfern. Hier klingen die Ideen Leo Tolstois an, der einen christlich fundierten Anarchismus fordert, der anders als jener Bakunins auf Gewalt verzichtet und durch die konsequente Umsetzung christlicher Werte Gerechtigkeit schaffen will. Die geschichtliche Entwicklung spielt in das persönliche Leben der Protagonisten hinein, ohne allerdings im Roman explizit ausgeführt zu sein. Bekannte Persönlichkeiten wie Bauernfeld, Grillparzer und Lanner tauchen als Randfiguren auf.

Ein weiter Aspekt des Romans, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, ist die Schilderung zahlreicher Exilschicksale. Schon Grand'maman Inez ist eine eingeheiratete Spanierin. Carl Herdeggens Frau Ludmilla stammt aus Polen. Josefs Frau Victoria stammt aus Frankreich und gerät während der Napoleonischen Kriege in schwere Gewissenskonflikte, entscheidet sich zunächst für Frankreich respektive Napoleon, kann aber die Liebe zu ihrer neuen Heimat Österreich doch nicht ganz verleugnen. Antoinette heiratet einen preußischen Grafen, und ist in dort äußerst unglücklich, weil sie einerseits in einen anderen verliebt ist und sich andererseits in der deutschen Atmosphäre unwohl fühlt. Dieser Unterschied zwischen der Donaumonarchie und Preußen wird von Zur Mühlen auch in Reise durch ein Leben abgehandelt. Weitere Exilschicksale zeigen sich im Gutsverwalter Monsieur de Venelles und dem Schweizer Hauslehrer Monsieur Venerius. Besonders schlimm trifft es Marie Christine, die einen polnischen Großfürsten heiratet und beim Krieg gegen Russland (1831) in Gefangenschaft gerät und nach Sibirien deportiert wird. Interventionen Grand'maman Inez beim Kaiser fruchten nicht, und so kann Marie Christine nicht zurückkehren.

Die Emigrationen, die hier geschildert werden, sind allerdings nicht, wie das Exil Zur Mühlens, kriegsbedingt und resultieren auch nicht aus Vertreibungen aus rassischen bzw. ideologischen Motiven, sondern sie gehören in die Kategorie der durch persönliche Gründe und Umstände bedingten Wanderbewegungen und Fährnisse. Schon hier wird die Eingewöhnung in eine neue Lebensform, das Fußfassen in neuer Umgebung als etwas äußerst Schwieriges, ja beinahe Unmögliches geschildert. Vor dem biographischen Hintergrund der Autorin lässt sich daher erahnen, in welcher Situation sie sich ab 1933 bzw. 1938 selbst befand. Wie bereits in früheren Texten, z. B. dem Roman "Das Riesenrad" (1932) scheinen auch in diesem Roman zahlreiche autobiographische Züge durch, die freilich nicht das zentrale Moment ausmachen. Denn vielmehr geht es um das Wechselspiel von Privatheit und historischer Entwicklung, um wiederkehrende und archetypische Erfahrungsmuster. Bemerkenswert scheint noch, dass einige der Handlungselemente sowie einige Personenzeichnungen auch in anderen Romanen Zur Mühlens auftauchen.

Kucher, Primus-Heinz: Zu einigen Aspekten der Erzählkunst der Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) zeigen

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