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KAPITEL

1. Die literarische Bedeutung Berthold Viertels
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2. Jüdische Herkunft
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3. Jugendlicher Ausbruchsversuch und Rückkehr
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4. Berthold Viertel und Karl Kraus
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5. Republikanismus, Weimarer Republik
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6. Theaterkonzeption, Kultur und Zivilisation, Rotes Wien
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7. Berthold Viertel und der Sozialismus
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8. Die Stellung zur Österreich-Frage
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9. Literarische Strategien
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10. Das Verhältnis zum Exil
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11. Die Stellung innerhalb des deutschsprachigen Exils in den USA
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12. Die Nachkriegssituation
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13. Der "Reichskanzleistil"
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14. Die spätere Theaterauffassung
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15. Zur Rezeption des literarischen Werks
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16. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Berthold Viertel (1885-1953)


Viertels Eltern waren schon mit ihren Eltern aus Tarnow im damaligen Galizien nach Wien gekommen. Der Vater, Schlomo (1860 Tarnow-1932 Wien), wurde hier zum wohlhabenden Möbelhändler, ehe die Folgen des russisch-japanischen Krieges seinem Export Wiener Handwerksarbeit nach Russland 1905 einen schweren Rückschlag verursachten. Die Mutter, Kressel (Anna) Klausner (1861 Tarnow-1932 Wien), betrieb ein Schirmgeschäft auf der Mariahilferstraße. In dem Gebiet um die Mariahilferstraße, im VI. und VII. Bezirk Wiens, wuchs Berthold Viertel auf, besuchte die Volksschule in der Zieglergasse, das Gymnasium Maria Hilf in der heutigen Amerlingstraße, lernte den Antisemitismus der Straßenjungen und den verknöcherten Klassiker-Humanismus der Gymnasiallehrer kennen. Unter der Schulbank las er die damals berüchtigten Werke Gerhart Hauptmanns und Frank Wedekinds, August Strindbergs und Knut Hamsuns.

Viertel, Anna zeigen
Viertel, Salomon zeigen

Ganz offensichtlich ist er jener zweiten Generation Wiener Juden zuzuzählen, die sich - im Gegensatz zu den meist nach 1867 nach Wien eingewanderten, auf ein arbeitsames und geschäftiges Leben konzentrierenden Eltern - der Wissenschaft, den freien Berufen und der Kultur zuwandte.

Passte sich die erste Generation nach außen den Erfordernissen der neuen Umgebung nach Tunlichkeit an, während das innere Leben der Familie meist noch in den Bahnen jüdischer Orthodoxie verlief, musste die folgende Generation oft qualvoll um eine Integration dieser inneren und äußeren Umstände ringen und stieß dabei auf sichtbare und unsichtbare Schranken, die der freien Bewegung jüdischer Menschen im alten Österreich gesetzt blieben. Die "Juden-Emancipation" war - trotz des 1781 von Joseph II. proklamierten, 'Toleranzpatents' und des ihm 1782 nachfolgenden "Judenedikts" - in Österreich-Ungarn sehr spät erfolgt; erst das "Staatsgrundgesetz" von 1867 garantierte die Grundrechte, die ein Heraustreten der Juden aus ihrer mittelalterlichen Absonderung, ihre komplikationslose Teilnahme am bürgerlichen Verkehr ermöglichten.

"Die Eltern, die an einem fernen Gestern Nach Wien, der reichen Stadt gezogen kamen. Sie wechselten die Tracht, Sprache und Namen. Kaum ein Erinnern blieb von polnischen Nestern." (Berthold Viertel:Vater und Mutter liegen nun im Grabe ... In: Das graue Tuch, 138)

Brit Mila (um 1910) zeigen

Die verspätete Emanzipation schuf die paradoxe Lage, dass die zu Bürgern gewordenen Juden ihr Bürgertum einem Staate zu danken hatten, dessen Fortbestehen zunehmend fragwürdiger wurde, und zugleich mit einer bürgerlichen Kultur konfrontiert waren, die nicht nur ein Bewusstsein des Niedergangs und der Krise vermittelte, sondern zunehmend auch sozialdarwinistische Ingredienzen, Tendenzen zu einem stärker werdenden/erstarkenden Irrationalismus und zu einem Antisemitismus mit betont rassistischer Qualität und Ausrichtung aufwies. Das Phänomen des so genannten "jüdischen Selbsthasses" - der seinen Blutzeugen in dem jungen Philosophen Otto Weininger (geb. 1880 in Wien gestorben 1903 durch Selbstmord), fand - lässt sich aus den zerreißenden Widersprüchen dieser Lage erklären.

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