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Konstantin Kaiser:
Berthold Viertel (1885-1953)
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Der jüdische Monarchie-Patriotismus hat das Verhalten und Fühlen des Reserveoffiziers Viertel noch 1914/15, im Ersten Weltkrieg, bestimmt; doch auf die bürgerliche Kultur seiner Zeit reagierte der Siebzehnjährige 1903 mit einem Ausbruchsversuch, der hinausführen sollte "aus der Welt des Gymnasiums, das dem Jüngling als eine vom Leben ausschließende Strafanstalt erschien, heraus aus der bürgerlichen Kultur, die er für überlebt und verloren hielt ..." ("Die Stadt der Kindheit", vermutlich 1949 entstanden, zitiert nach Kindheit eines Cherub, 81)
Viertel, Berthold als Offizier zeigen
Die Flucht, die Viertel zusammen mit dem um ein Jahr älteren Karl Adler (1884 Wien-1942 Frankreich, im Exil verstorben), Sohn des Begründers der österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler, antrat, führte in die !Welthauptstadt des 19. Jahrhunderts', nach Paris, und endete mit der Ablegung des Abiturs am Institut Laemmel in Zürich und der Rückkehr "in die bürgerlich-überbürgerliche Welt der Kunst, des Theaters, der er für sein ganzes Leben verhaftet blieb".
Vorangegangen war eine erste, 'romantische' Hingezogenheit zu den Arbeitern und zu der noch jungen sozialdemokratischen Bewegung, die enttäuschend verlief:
"Wir gingen in die Arbeiterheime und belauschten, von Grimm vereist, die Ausreden der Führer. Wir sahen sich die Sklaven dieser Welt mit Anklagen und Versprechungen abfüttern lassen. Man trieb sie an Sonntagen und Feiertagen um einen Trog zusammen, in den die Reste jener Bildung gerettet waren, die wir ausgespien hatten. [...] Der beste Mann der Stadt [Victor Adler, der Begründer der Sozial-Demokratischen Arbeiter-Partei Österreichs] entzog den Arbeitern den Alkohol, um sie endlich zu ernüchtern. Umsonst: Falscher Schnaps war jedes zweite Wort, das seine eigene Zeitung ihnen bieten musste". ("Paris", undatiert, zitiert nach: Kindheit eines Cherub, 141)
Den strengen Forderungen Victor Adlers, der im Namen der Arbeiterbewegung bloß den Anpassungsdruck, den die ältere jüdische Generation auf die jüngere ausübte, fortzuschreiben schien, wollte sich Viertel nicht unterordnen; die mit der Reise nach Paris verbundene Suche nach einem spontanen Zugang zu den wirklichen Arbeitern war gescheitert; für zehn Jahre wurde Viertel ein "Gefangener" des Café Central, wo "der Sokrates des damaligen Wien" Peter Altenberg, im Arkadenhof residierte (vgl. Viertels "Erinnerung an Peter Altenberg", Kindheit eines Cherub, 131-138), wo Viertel Freundschaft mit Alfred Polgar, Albert Ehrenstein und Karl Kraus schloss. "... das Café Central legte sich zwischen mich und die Wirklichkeit, die ich um seinetwillen versäumte." Versäumt hat Viertel vielleicht sein Philosophie-Studium, das er 1910 ergebnislos abbrach; doch namentlich die Freundschaft mit Karl Kraus wurde zu einer der folgenreichsten Begegnungen seines Lebens.
Altenberg, Peter im Café Central zeigen
Ehrenstein, Albert zeigen
Polgar, Alfred zeigen
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