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KAPITEL

1. Prozesse des Vergessens und Erinnerns am Beispiel der "Hasenjagd" Ein Vergleich zwischen Film und Literatur
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2. Elisabeth Reichart: Februarschatten. Roman
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3. Prozesse des Vergessens und Erinnerns am Beispiel des Films "Hasenjagd" (1994) von Andreas Gruber. Ein Vergleich zwischen Film und Literatur
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4. Anhang
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Herbert Staud:
Formen der Erinnerung - Gedächtnisarbeit


Elisabeth Reichart gehörte, als sie im Jahr 1984 im Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei (Edition Junges Österreich) ihren ersten Roman "Februarschatten" veröffentlichen konnte, zur jungen Generation österreichischer Autorinnen. Der Roman hatte sofort großen Erfolg und erfuhr in den folgenden Jahren mehrere Lizenzauflagen, 1989 im Luchterhand Verlag, 1989 auch im Fischer Taschenbuch Verlag, wo er 1995 erneut aufgelegt wurde - mit einem Nachwort von Christa Wolf zum bestimmenden Thema "Struktur der Erinnerung". Inzwischen gilt Elisabeth Reichart als renommierte Schriftstellerin, deren literarisches Werk - Romane, Erzählungen, Szenen - zu den in vieler Hinsicht bemerkenswertesten Erscheinungen der österreichischen Literatur der Gegenwart zählt. Seit 1984 hat sie sechs Bücher vorgelegt und dafür schon eine Reihe von Auszeichnungen und Ehrungen seitens staatlicher und privater Stellen erhalten. Zu ihren wichtigsten Publikationen gehören neben "Februarschatten" (1984) die Erzählung "Komm über den See" (1988), die Erzählsammlung "La Valse" (1992), die feministisch ausgerichtete Erzählung "Fotze" (1993), der szenische Monolog "Sakkorausch" und der Roman "Nachtmär" (1995). Zuletzt ist ihr "Japan-Roman" mit dem Titel "Das vergessene Lächeln der Amaterasu" (1998) erschienen. Für ihre Arbeiten erhielt sie 1980 und 1982 den Rauriser Förderungspreis für Literatur und 1989 das Staatsstipendium für Literatur.

Reichart, Elisabeth zeigen

Elisabeth Reichart (geb. 1953 in Steyregg) stammt aus der Nähe von Mauthausen in Oberösterreich, wo die Nationalsozialisten das größte KZ auf österreichischem ("ostmärkischem") Boden eingerichtet hatten. Sie studierte Geschichte und Germanistik in Salzburg und Wien und ist promovierte Historikerin. Sie arbeitet schon seit mehr als 15 Jahren hauptberuflich als freischaffende Autorin in Wien. Elisabeth Reichart nimmt sich in vielen ihrer Werke der bedrängenden NS-Vergangenheit Österreichs an und macht den schmerzlichen Umgang mit dieser zum literarischen Thema, das Verdrängen, das Nicht-Erinnert-Werden-Wollen, das Vertuschen, das Beschweigen und das Lügen.

KZ Mauthausen zeigen

Die fulminante literarische Stimme dieser Erzählerin hat Christa Wolf, die ein Nachwort zu Reicharts Roman "Februarschatten" verfasste, "unbestechlich, aber nicht erbarmungslos" genannt. Denn Elisabeth Reichart nahm sich eines komplexen und bedrängenden Themas an: Der Roman "Februarschatten" ist ein Psycho- und Soziogramm einer inzwischen verwitweten Frau, die als ein von den gesellschaftlichen Verhältnissen zugerichtetes Objekt - unbeachtet, übersehen, außer acht gelassen - während der letzten Tage der NS-Herrschaft schuldig geworden ist. "Gegen ihren zähen Widerstand" bricht sie Jahrzehnte später, bedrängt von ihrer nachfragenden Tochter, ihr selbstauferlegtes Schweigen und kollektiv zugemutetes Vergessenmüssen. Es sind regelrechte "Zuckungen", widergespiegelt in "abgehackten, atemlosen" (Christa Wolf) Sätzen. Diese Frau - sie heißt Hilde - hatte sich nämlich im Februar 1945, als die SS gemeinsam mit einem großen Teil der Zivilbevölkerung entflohene KZ-Häftlinge (russische Kriegsgefangene) jagte und in einem wahren Blutrausch hinmetzelte, als junges Mädchen zwar in tiefen Gewissensnöten, aber doch sympathisierend auf die Seite der Schlächter, also auf die Seite der sogenannten "Ordnung" und der NS-"Normalität", gestellt und damit nicht zuletzt ihren geliebten Bruder Hannes den SS-Schergen ausgeliefert, einen, der dabei aus Gewissensgründen und politischer Überzeugung nicht mitmachte. Ihre Tochter Erika, eine angehende Schriftstellerin, will nun aber mehr über ihre Mutter wissen, als diese bisher erzählt hat bzw. erzählen konnte.

Dazu ist schmerzliche Erinnerungsarbeit nötig. Nur langsam und in konfliktreichen Prozessen werden die Erinnerungen von Hilde freigelegt. Und so dringt die Erzählung in die mühsam verdrängte Vergangenheit Hildes bis zu jenem einschneidenden Erlebnis vor, das sie als Kind im Jahre 1945 hatte: Sie war Zeugin von Verbrechen während der sogenannten "Mühlviertler Hasenjagd" geworden.

Mühlviertler Hasenjagd zeigen
Mühlviertler Hasenjagd zeigen

Im Unterschied zu den Texten von Jura Soyfer und Fred Wander handelt es sich bei "Februarschatten" um die Arbeit einer Autorin, die erst nach dem Krieg geboren ist und deswegen nicht aus eigener KZ-Erfahrung berichten kann. Elisabeth Reichart beschäftigt sich deswegen mit der Auseinandersetzung oder Nicht-Beschäftigung jener Österreicher/inn/en mit der NS-Zeit, die diese zwar selbst erlebten, aber nach 1945 nicht mehr daran erinnert werden wollten. Reicharts Roman rückt insbesondere Angehörige jener Generation in den Mittelpunkt des Interesses, die mitschuldig geworden waren.

Wander, Fred zeigen
Soyfer, Jura zeigen

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