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KAPITEL

1. Australien
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2. "Österreichisches" Exiltheater und -kabarett
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3. Frühe Reaktionen (1941-1950)
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4. Hochblüte (1950-1960)
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5. Sprach- und Identitätswechsel (1957-1973)
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6. Anhang
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Birgit Lang:
"The Earnestness of being Importer." "Österreichisches" Theater und Kabarett im australischen Exil


In der Praxis wurden die einzelnen Fälle entweder von Stellen der australischen Regierung oder der Australian Jewish Welfare Society, die eng mit diesen zusammenarbeitete, beurteilt (Bartrop 1994, 51f). Die tatsächlichen Entscheidungen lassen sich nur tendenziell einem dermaßen eindeutigen Schema, wie im Memorandum beschrieben, zuordnen (eine ausführliche Beschreibung der Entwicklungen und Auswirkungen der australischen Flüchtlingspolitik bieten Bartrop 1994, Blakeney 1985, Feiglin 1981, Markus 1983, Rubinstein 1989, Rutland 1984 und 1997).

Fest steht, dass während der Kriegsjahre rund neuntausend Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus in Australien Aufenthalt fanden. Manche von ihnen kamen nicht freiwillig nach Australien. So wurden im Jahre 1940 2.732 in Großbritannien als Enemy Aliens internierte Männer auf einem Schiff namens "Dunera" nach Australien deportiert. Unter ihnen befanden sich Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus ebenso wie italienische Faschisten sowie deutsche und österreichische Nationalsozialisten. Von den vom Nationalsozialismus Vertriebenen verblieben rund 1000 in Australien (Rutland 1997, 405). Aus Singapur wurden in ähnlicher Weise 267 Flüchtlinge abgeschoben (zur Geschichte der Dunera und der aus Singapur Abgeschobenen vgl. Bartrop 1990 und 1993, Patkin 1979).

Während diese beiden Gruppen zuerst ein bis zwei Jahre in Lagern in Australien zubrachten, gestaltete sich das Los der "normalen" Flüchtlinge anders. Sie kamen auf Schiffen aus London, Genua oder anderen europäischen Hafenstädten nach einer rund sechswöchigen Reise in Australien an. Während der langen Fahrt schlossen die Flüchtlinge neue Bekanntschaften und Freundschaften (oder frischten diese auf) und versuchten, sich auf ihre Ankunft vorzubereiten, sich ihr Leben in der 'neuen Welt' vorzustellen. Es bildeten sich bereits hier Interessensgruppen, so entstand die erste Idee zur Gründung des "Kleinen Wiener Theaters" auf der Reise nach Australien (Gespräch mit Liesl Bauer-Royston im Jänner 1995, Melbourne). Nach ihrer Ankunft erlitten die Flüchtlinge durchgehend einen "Kulturschock". Viele konnten ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben, sie beherrschten das Englische oft nur in Ansätzen (der australische Akzent war ihnen jedenfalls unvertraut), die Kleidung, die sie trugen, war für australische Augen ungewohnt und ließ die Neuankömmlinge herausstechen. Von australischer Seite schlug ihnen Misstrauen entgegen, aber auch Sympathien kamen ihnen zu. Besonders nach dem Novemberpogrom mehrten sich solidarische Stimmen in der australischen Öffentlichkeit. (vgl. Bartrop 1988, 493 f.)

Der Alltag der Flüchtlinge war von Regelungen strukturiert, welche australische Staatsbürger/innen nicht betrafen. Flüchtlingen war der Besitz von Radio- und Fotoapparaten, von Autos, Motorrädern und Fahrrädern untersagt. Zur Fortbewegung durften ausschließlich öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden, und es herrschte Meldepflicht, eine Auflage, die es in Australien niemals davor noch danach gegeben hatte. Die Enemy Aliens mussten sich wöchentlich bei der zuständigen Polizeistation melden und durften sich nur im Umkreis einer Meile von ihrem Wohnsitz ohne Bewilligung aufhalten (Felser 1989, 6; Blakeney 1985, 174 ff.).

Die Flüchtlinge standen diesen Maßnahmen nicht ganz hilflos gegenüber. Die von ihnen begründete "Association of Refugees" setzte im Jahr 1944 eine Reklassifizierung der Enemy Aliens als Friendly Aliens durch (Felser 1989, 14). Dies implizierte die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres die australische Staatsbürgerschaft annehmen zu können. Damit und mit Ende des Zweiten Weltkriegs beruhigte sich die rechtliche und politische Lage der Vertriebenen zusehends.

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