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KAPITEL

1. Australien
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2. "Österreichisches" Exiltheater und -kabarett
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3. Frühe Reaktionen (1941-1950)
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4. Hochblüte (1950-1960)
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5. Sprach- und Identitätswechsel (1957-1973)
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6. Anhang
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Birgit Lang:
"The Earnestness of being Importer." "Österreichisches" Theater und Kabarett im australischen Exil


"The Earnestness of being Importer", der Titel dieses Beitrags, ist ein Zitat aus einem "Bunten Abend" des Kleinen Wiener Theaters aus dem Jahr 1955. Dieser "Bunte Abend" ist aus zwei Gründen bemerkenswert, erstens weil er sich kritisch mit der Zweiten Republik Österreich und deren Verhältnis zu den Vertriebenen auseinandersetzt (vgl. dazu Lang 2000, 259 f) und zweitens weil er mit einer "Jedermann"-Parodie Stellung zu Konflikten innerhalb des Theaters bezog. Als das Kleine Wiener Theater im März 1955 den "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal auf die Bühne brachte, wurde diese Stückauswahl von Teilen des Publikums kritisiert. So kam nach einer Aufführung ein Zuseher hinter die Bühne und beanstandete den christlich-katholischen Inhalt des Stücks als zu wenig jüdisch (Gespräch mit Harry Weiss im März 1998, Sydney). Als Antwort des Theaters folgte im kurz danach aufgeführten Bunten Abend eine Parodie, welche aus dem Christen Jedermann einen australischen jüdischen Emigranten namens Sedermann machte. Die Szene spielt nicht zu Ostern, sondern zu Pessach.

Zu Pessach, einem der höchsten jüdischen Feiertage, wird normalerweise der Geschichte des jüdischen Volkes gedacht, vor allem des Auszugs aus Ägypten. Seder-Abende bilden das Zentrum des Festes.

Pesach-Fest zeigen

Die Gäste überessen sich auch hier. Als es an der Tür läutet, wird Sedermann von einer unbekannten Stimme angerufen. Der Rufer ist jedoch nicht der Tod, sondern der Vollstrecker des Finanzamts. Sedermann ist bankrott, verliert alles und - fängt ein neues Leben an (Baring, Bittman 1955, 26-38). Die Einleitung zu dieser Szene bildet ein Dialog zwischen zwei australischen Emigranten. Lesen Sie diesen Ausschnitt.

Jedermann-Parodie zeigen

Das ausgewählte Zitat beschreibt das Heimweh und das Verhältnis der Emigrant/innen zum Theater und weist auf den komplizierten Theateralltag einer Amateurbühne hin. Mit dem ironischen Kommentar auf die unmutigen Stimmen aus dem Publikum nahmen die Kabarettschreiber - im Kleinen Wiener Theater sind das Karl Bittman und Alfred Baring - dieses einerseits auf die Schippe, folgten jedoch andererseits dessen Wunsch nach einer 'jüdischen' Version des "Jedermann". Damit konnten sie die Spannungen im Publikum ansprechen, den Konflikt durch die humoristische Intervention entschärfen und trotzdem darauf beharren, daß die im 'Jedermann' angesprochenen Probleme nicht nur für ein christliches, sondern auch für ein (teilweise) jüdisches Publikum Gültigkeit haben.

Die danach aufgenommene Frage der Adaptierung spielt nicht nur auf die Bearbeitung von Stücken an, sondern auch auf die Situation der Emigrant/inn/en, die sich an neue Lebensumstände gewöhnen müssen. Die Position der Emigrant/inn/en zwischen den Kulturen wird im Kabarett nicht als Defizit wahrgenommen, sondern wird zur Voraussetzung, den Witzen und Anspielungen überhaupt folgen zu können.

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