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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Erste Kontakte mit einer fremden Kultur
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3. Probleme in der neuen Heimat
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4. Politik im Exil
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5. Schmerzlicher Neuanfang
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6. Anhang
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Siglinde Kaiser-Bolbecher:
Österreichische Emigration in Kolumbien


Um den Flüchtlingen effektiver helfen zu können, wurden Hafenhilfsstellen in Barranquilla, Buenaventura, Cucuta (an der Grenze zu Venezuela) gegründet sowie Zweigstellen in Cali und Medellin. Während des großen Flüchtlingsstroms versuchten die Hilfsstellen die Emigranten zunächst unterzubringen, sie auf verschiedene Städte aufzuteilen und sie finanziell zu unterstützen. Die bereits Ansässigen richteten Pensionen für Flüchtlinge ein und hatten dadurch ein kleines Einkommen. Manche Flüchtlinge hatten keine "ordentlichen" Dokumente oder konnten die Kaution nicht bezahlen. Verhandlungen mit den Hafenbehörden waren nötig, bisweilen Bestechungen, um das Gepäck freizubekommen. Andererseits haben die kolumbianischen Behörden 1938 auch wiederum Kautionsschulden erlassen, und so konnten die Einfuhrzölle für frisch Ankommende beglichen werden.

Die Flüchtlinge hatten neben dem Sprachproblem und der Unwissenheit über das Land auch Vorurteile; wollten vor allem in die Hauptstadt Bogotá und nicht an einem "abgelegen Ort". Traditionelle Gewohnheiten erschwerten die Integration und die Eingliederung war auch über die Arbeit nicht unbedingt leichter. Ohne Geld, Besitz und ohne Verbindungen war der Straßenverkauf von selbsterzeugten Produkten oder en gros gekauften Waren eine naheliegende Variante der Existenzsicherung. Aber gerade der "Straßenverkauf" ist in Kolumbien eine "Einkommensquelle" der ärmsten Schichten der Bevölkerung. (vgl. auch Kleiner 1943, 26) Hans Friedmann, vom Beruf Chemiker, berichtet, wie er die ersten Monate nach seiner Ankunft in Bogotá versuchte, mit der Herstellung von chemisch-technischen und kosmetischen Produkten im Haus seines Bruders etwas zu verdienen, und wie er damit scheiterte. (vgl. Friedmann 1987, 478) Andere versuchten sich als "Produzenten" von Schuhpaste, Bäckereien, Strickwaren durchzuschlagen. Legendär die Einkommensquelle des erst 1942 in Kolumbien eingereisten deutschen Schriftstellers Erich Arendt und seiner Frau Katja, die von der Produktion von Pralinen lebten. Ihr Beispiel ist durchaus typisch für die Schwierigkeiten, die Kulturschaffende und in geisteswissenschaftlichen Berufen Tätige hatten. Aber auch Ärzte, die zwar dringend benötigt wurden, hatten es schwer, wenn sie nicht das Geld für eine eigene Praxis aufbringen konnten. Der Mediziner Paul Engel, in Wien bekannt durch seine Untersuchungen auf dem Gebiet der Endokrinologie, brachte sich als Arzneimittelvertreter durch. Wie groß war seine Freude aber auch Enttäuschung als ihm der Rektor der Universidad Libre, Jorge Elicar Gaitán, 1938 zum außerordentlichen Professor für Endokrinologie bestellte. Für seine Vorlesungen erhält er kein Honorar. (vgl. Felden 1987, 77) Nach den damaligen kolumbianischen patriarchal-feudalen Universitätsstrukturen, den geringen Mitteln des Staates für Wissenschaft und Bildung, wurde davon ausgegangen, dass Professoren, die größtenteils aus der Oberschicht stammten, ihre Lehrtätigkeit nicht aus materiellen Gründen betrieben.

Der Schriftsteller, Arzt und Universitätslehrer Paul Engel (Pseud. Diego Viga, *1907) zeigen
Engel, Paul zeigen

Aber auch jene Exilanten, die eine Anstellung in der Industrie oder im Gewerbe fanden, mussten mit den landesüblichen niedrigen Löhnen zu leben lernen. Notwendige Lebensmittel waren sehr billig, aber das monatlich zur Verfügung stehende Budget entschied über die Qualität des Wohnens. Der durchschnittliche Monatsverbrauch für einen Vierpersonenhaushalt kann mit 240 Pesos angenommen werden. Die meisten Exilant/innen mussten in den ersten Jahren mit der Hälfte auskommen. Im Vergleich dazu verdiente eine Verkäuferin im Durchschnitt 30, ein qualifizierter Arbeiter 60 bis 80 Pesos; ein Bank- oder Staatsbeamter 100 bis 150 Pesos monatlich. Höhere Löhne waren äußerst selten und wurden nur für Spezialisten ausländischer Firmen bezahlt. In Kolumbien gab es zwar den Achtstundentag (48 Stunden pro Woche), aber keine allgemeine Krankenversicherung; kein Verbot der Kinderarbeit und keine Schulpflicht, so dass Tätigkeiten wie Schaffner, Zeitungsverkäufer, Botendienste hauptsächlich von Kindern zwischen 7 und 12 Jahren ausgeübt wurden. (Bericht von Kurt Weiss im Juni 1941, Bogotá. DÖW Akt Nr. 6426)

Allgemein kann festgestellt werden, dass der Grad der Integration der Flüchtlinge zu einem hohen Ausmaß davon bestimmt wurde, inwieweit eine materiell und beruflich zufriedenstellende Arbeit gefunden wurde bzw. Geld angespart werden konnte, um eine eigene Firma zu gründen.

Eine ganz besondere Bedeutung bei der Einfindung in das kolumbianische Leben, bei der 'Brotsorge' und der Herstellung gesellschaftlicher Kontakte kam den Frauen zu. Sie leisteten zunächst die größere Anstrengung, den sozialen und kulturellen Bruch zu überwinden; nicht selten unter Ausblendung eigener Zukunftsvorstellungen. (vgl. Bolbecher 1992, 54 f.) Ob die Frauen mit Arbeitsvisa ausgestattet, etwa als "Kindermädchen mit Fremdsprachenkenntnissen", oder als "Ehefrau" immigrierten, ihre Ausbildung, Kenntnisse passten keineswegs in die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der kolumbianischen Gesellschaft. Es galt erfinderisch zu sein, Marktlücken aufzuspüren und in Nischen eine Existenz aufzubauen. Von der Herstellung von Konditorwaren, Bäckereien bis zur Miniaturporträtmalerei, Gymnastik- und Ballettschule, Musikunterricht und Pensionsbetrieb reicht das Repertoire.

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