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KAPITEL

1. Politisches Kabarett
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2. Blaue Blusen/Rote Spieler
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3. Jüdisch-Politisches Cabaret
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4. Der liebe Augustin
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5. Die Stachelbeere
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6. Die Seeschlange
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7. Literatur am Naschmarkt
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8. ABC
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9. Anhang
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Herbert Staud:
Die Wiener Kleinkunst der Zwischenkriegszeit im Widerstand gegen den Faschismus


Der Arbeiter lebt wie im Paradiese, Die sie verprassen in Nachtlokalen. Spazieren gingen nackt und bloß Stecken in Arbeit über die Ohren, indes die Arbeiter sich ins Fäustchen lachen Denn so ist Gottes Wille. Amen. Besitzsteuern und soziale Lasten! Antimarxistische Fastenpredigt Das kommt, wie alles Mißgeschick Man räume weg drum kurz und gut Und keine Unterstützung bekamen Die ganze Arbeitslosigkeit ist Die Unternehmer und Direktoren Sie legen sich auf die faule Haut Den revolutionären Schutt, Und lassen sich die Unterstützung zahlen, Die Arbeiter, die sind gehaut: Daß ein Generaldirektor arbeitslos gewesen? Und alle Tag' blauen Montag machen. Dann klingt das Gold in unserm Kasten. Von der gottverfluchten Sozialpolitik. Ein purer Schwindel, daß ihr's wißt! Behoben ist die Wirtschaftskrise, Wo Adam und Eva arbeitslos Hat man etwa je gelesen,

(Aus der Rubrik "Das politische Couplet" in der Monatsschrift der sozialdemokratischen Parteiorganisation Wien, "Der Sozialdemokrat", April 1930)

Artikel: Das politische Couplet zeigen

1. Das Gedicht, das wir wiederherstellen wollen, ist eine "Parodie". Es ist in der Fastenzeit entstanden, in der die Kirche Enthaltsamkeit predigt. Es ist weiters zu einer Zeit (1930) entstanden, in der die Kirche massiven Einfluss auf die Politik nahm - durch Parteifunktionen und durch Staatsämter. Dies nennt man "politischer Katholizismus". 1933 waren fünf Angehörige des Klerus im Nationalrat vertreten, drei im Bundesrat und mehr als ein Dutzend in den Landtagen und den Gemeinderäten. Ein Prälat war von 1908 bis 1927 Landeshauptmann von Oberösterreich. Der Prälat Ignaz Seipel war ab 1921 Obmann der christlichsozialen Partei und von 1922-1924 und 1926-1929 österreichischer Bundeskanzler.

Seipel, Ignaz zeigen
Seipel, Ignaz zeigen
Gottes Engel schütze unseren Kanzler! zeigen

Seit Beginn der Arbeiterbewegung wurde der Kirche vorgeworfen, dass sie sich weniger für die Anliegen der Arbeiter als vielmehr für die Anliegen der Besitzenden interessiere. Daher haben Parodien von Predigten und Gebeten eine lange Tradition. Der deutsche Dichter Georg Herwegh griff zum Beispiel die Mönchsformel "ora et labora" (bete und arbeite) auf und schrieb 1864:

"Bet und arbeit!" ruft die Welt, bete kurz, denn Zeit ist Geld! An die Türe pocht die Not, bete kurz, denn Zeit ist Brot!

Die Formel "Bet und arbeit!" wurde immer wieder gerne in parodistischer Form aufgegriffen. So zum Beispiel in der Schlussrevue des 5. Programms des "Politischen Kabaretts": "Rund um die Klassenversöhnung".

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