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KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
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2. Wien als Stadt des Exils
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3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
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4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
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5. Abschließende Bemerkungen
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


In der Folge wird im Text die Ausgabe von 1998 zitiert. Vom Herausgeber dieser Erstedition gestrichene Passagen werden, sofern sich dadurch eine Erweiterung des Textsinns ergibt, aus dem einzigen erhaltenen Typoskript ("Ts") ergänzt (Ergänzungen in spitzen Klammern): Rudolf Frank: Fair play. Roman. Typoskript, 310 S. Stadtarchiv Mainz, Nachlass Frank Nr. 15.

Der Roman erzählt die Geschichte des Regisseurs Konrad Holler und der in Wien geborenen Schauspielerin Lili von Crailing, beide revolutionäre Sozialisten, die als NS-Vertriebene in der Theater- und Kabarettszene Wiens beruflich Fuß zu fassen suchen, in Liebe zueinander finden und nach dem sogenannten 'Anschluss' Österreichs an Hitler-Deutschland wieder getrennt werden. Der Roman bietet die Geschichte einer Liebe , mit Intrigen und Eifersüchteleien, wonniglichen Lusterlebnissen, Wutausbrüchen und quälenden Trennungen, und zugleich doch weit mehr: das soziale Panorama einer Stadt und ihrer Bewohner, Einblicke in die zeitgenössischen Produktions- und Distributionsbedingungen von Kunst, in die Hoffnungen und Nöte von Schauspielern, Musikern, Kabarettisten, nicht zuletzt auch eine Chronik der politischen Ereignisse in einem Staat, den die Historiker selbst heute noch nicht genau zu benennen wissen: Von seinen Trägern und Anhängern als "christlicher Ständestaat" verstanden, wurden seit den 1970er Jahren die Begriffe "autoritärer Staat", "konservative bürgerliche Diktatur", "halbfaschistische Diktatur", "Halbfaschismus" und "Austrofaschismus" diskutiert - und dies mit einer aus nichtösterreichischer Perspektive womöglich schrullig oder grotesk anmutenden emotionalen Verve. (vgl. die Übersicht der terminologischen Kontroversen bei Jagschitz 1983, 499)

Mag sich die Geschichte dieser 1933 bis 1938 währenden Diktatur aus europäischer Perspektive und zumal im Vergleich mit dem, was folgen sollte, auch wie eine historische Marginalie eines nach 1918 ohnehin politisch marginalen Staatsgebildes ausnehmen, so dienen die Ereignisse dieser Zeit bzw. die Urteile darüber im österreichischen Kontext noch heute als scharfe Klingen im selbst-identifikatorischen Disput um die österreichische Nation. Stärker als andere Epochen österreichischer Geschichte scheint sich nämlich das kulturelle Gedächtnis der Zweiten Republik in gerade diesem Zeitabschnitt zu kristallisieren und dergestalt Bestandteile jenes Symbolinventars bereitzustellen, mit denen Identitäten zu schaffen, zu sichern und daraus Elemente eines Selbstbildes zu formen sind. (vgl. Assmann 1992, 75; zum Konzept der "Orte des Gedächtnisses" vgl. Nora 1998, 7)

Ermuntert durch den ihm aus Wien bekannten Schriftsteller und Journalisten Richard Arnold Bermann (Pseud. Arnold Höllriegel, Wien 1883 - Saratoga Springs, N. Y. 1939), nahm Rudolf Frank die Arbeit an seinem Roman "Fair play" 1938, unmittelbar nach der Flucht von Wien nach Meran, auf und beendete ihn noch im selben Jahr in Zürich, dem Ort seines dritten Exils. "Schreiben Sie", hatte Bermann ihm geraten, "den Roman vom Versinken Wiens in der braunen Flut." (vgl. Frank 1960, 349) Bei diesen Worten war dem Autor eine Geschichte in den Sinn gekommen, in der Schiffbrüchige nach langem Rudern auf einer rettenden Insel gelandet waren, sich auf ihr eingerichtet hatten und plötzlich "an verschiedenen beunruhigenden Anzeichen" merkten, "daß ihre Rettungsinsel in Wirklichkeit ein riesiges Seetier war", das jederzeit untertauchen "und sie im Weltmeer ersäufen" konnte. "So eine Insel war unser Wien" (vgl. ebenda, 349 f. und Frank 1998, 206). Dieses alte, 1938 abgesackte Monstrum Österreich, das ein dickes Fell hat, die Luft und die Oberfläche liebt und nicht gerne auf Grund geht (vgl. Frank 1998, 220), ließ nun der Autor in Zürich novellistisch wiedererstehen. "Dr. Frank", berichtet der damals noch gänzlich unbekannte und ebenfalls nach Zürich geflüchtete Dramatiker Fritz Hochwälder (Wien 1911-Zürich 1986), "hauste damals in einem ebenerdigen Mietzimmer in der Obstgartenstraße. Bei einem meiner Besuche war er damit beschäftigt, einen weitgehend autobiographischen Roman abzutippen." (zit. nach Stadt Mainz 1980, 22)

Bermann, Richard Arnold zeigen
Bermann, Richard Arnold zeigen
Hochwälder, Fritz zeigen

Frank und Hochwälder kannten einander bereits aus Wien. (vgl. Frank 1960, 347)

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