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KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
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2. Wien als Stadt des Exils
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3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
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4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
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5. Abschließende Bemerkungen
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


Der Erzähler des Romans nimmt den Leser an der Hand und bietet ihm Panoramen seiner Erfahrungen als Exilant, Regisseur, Theaterkenner und Sozialist im autoritär-ständestaatlichen Wien. Vielfältig miteinander verquickt und ineinander verzahnt, einander klärend und erklärend, ordnen sich makropolitische Fakten und Analysen, theatergeschichtliches Detailwissen und persönliche Erinnerungen zu einem bestimmten literarischen Kommunikationsschema: jenem des autobiographischen Zeitromans. Mit Dialogisierungen, Erlebter Rede, Innensicht, auktorialen Kommentaren und epischem Präteritum bedient sich Frank jener narrativer Mittel, die man als Kennzeichen fiktional-perspektivierender Rede zu bezeichnen gewohnt ist. Wie weit und welcherart der Erzähler eines Zeitromans den Horizont seiner Zeit ausleuchtet, Licht und Schatten verteilt und welche Urteile er fällt, zählt zu den bevorzugten Fragen der Erforschung von Geschichtsdichtung. Ein solcher Blickwinkel setzt indes die heuristische Vorstellung eines "Hiatus von Fiktion und Historie" voraus (Geppert 1976, 34), in der das Subjektiv-Ungesicherte dem historisch Gesicherten gegenübertritt und diesem infolge seines relativistischen Wahrheitsanspruchs notwendig unterliegen muss.

Das letzte Wort im Disput zwischen ungeprüfter Geschichtsdichtung und überprüfter Geschichte behielte demnach stets Clio und nicht Calliope. Folgt man den Pfaden Clios auf ihren Wegen durch die Zweite Republik Österreichs, so entpuppen sie sich aus heutiger Perspektive freilich ihrerseits als höchst parteiische Umwege, Abwege und Irrwege durch das Reich der Faktizität. In besonderem Maße gilt dies für die historiographische Rekonstruktion der Jahre 1933 bis 1938, zumal sich die nach 1945 staatstragenden Parteien ÖVP (Österreichische Volkspartei) und SPÖ (Sozialistische - nunmehr sozialdemokratische - Partei Österreichs) institutionell wie ideell aus den vormaligen Verfolgern und Verfolgten herleiteten, doch im Sinne staatstragend-koalitionären Denkens öffentliche Diskussionen darüber weitgehend vermieden - um 'keine Gräben aufzureißen', wie vor allem die ÖVP, von 1945 bis 1966 stärkere Regierungspartei in der großen Koalition und danach bis 1970 alleinregierende Partei, zu betonen pflegte.

Als mit den 1970er Jahren während der Kreisky-Ära dann doch die Zeit kulturellen Erinnerns und historischer Selbstverständigung angebrochen war, kam es sogleich zu heftigen Kontroversen und Querelen: Sozialisten und Sozialdemokraten wiesen offiziös-euphemistische Termini wie 'Christlicher Ständestaat', 'Selbstausschaltung des Parlaments' oder 'tragischer Bürgerkrieg' mit Berufung auf eigene Erfahrungen sowie die mittlerweile geleisteten Forschungsergebnisse entschieden zurück. Der nach wie vor am Leben erhaltene Mythos Dollfuß, den man allein als Verteidiger und Märtyrer Österreichs gefeiert hatte und dessen Bild immer noch im Parlamentsklub der ÖVP hängt, sollte als Chimäre bloßgestellt werden - schließlich hatte gerade Dollfuß das demokratische System Österreichs zerschlagen und an seine Stelle ein diktatorisches Regime gesetzt.

Dollfuß, Engelbert zeigen

Zu den einzelnen Elementen des Dollfuß-Mythos vgl. Jagschitz, 1976, 191.

Mit dem Namen Kurt Schuschnigg verband man bis dahin nicht viel mehr als dessen Bemühungen um die Erhaltung der österreichischen Eigenstaatlichkeit sowie die nationallegendarischen Abschiedsworte "Gott schütze Österreich"; nun endlich rückte auch höchst Zweifelhaftes ins Blickfeld: Immerhin war Schuschnigg 1934 als Justizminister für die standrechtlichen Fanale über die Aufständischen verantwortlich gewesen, hatte er die schleichende Faschisierung der Staatsführung vorangetrieben und überdies rückhaltlos einer Deutschtums-Ideologie gehuldigt (vgl. Schuschnigg 1978, 21 f., 30 und 1937, 39, 277), die letzten Endes auf eine "Konkurrenz mit dem Nationalsozialismus in bezug auf gleiche Ziele" hinauslief (und damit auf eine Austreibung des Teufels durch Beelzebub). (Staudinger 1988, 311)

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