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KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
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2. Wien als Stadt des Exils
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3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
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4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
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5. Abschließende Bemerkungen
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


Wien frappiert den Exilanten Konrad Holler, die Hauptfigur des Romans, fürs erste vor allem sprachlich: Es ist eine Stadt, in dem die Ober der dort zahllos scheinenden Kaffeehäuser (1.248 im Jahre 1938, vgl. Czeike 1994, 410) "Topfenstrudel" mit oder ohne "Schlagobers" servieren, man sich in "Tschochs" für seine "Tschiks" mit "Zünder[n]" Feuer geben lässt und nach der "Jausen" auch wohl ein paar "Zuckerln" genehmigt, die beim "Greisler" nebenan erhältlich sind. (Frank 1998, 150) Viele Wiener hausen in "Kabinetten", einfenstrigen Zimmern, im Zwischenstock - "in dieser Sprache 'Mezzanin' geheißen". (Frank 1998, 92) Mag die Staatsgewalt seit 1918 auch nicht mehr vom kaiserlichen Hof ausgehen, so gibt es nach wie vor "Hofräte", höhere Beamte im Bundes- und Landesdienst, denen die Bezeichnung als Amtstitel oder vom Bundespräsidenten verliehener Ehrentitel zusteht und deren Gattinnen man wie selbstverständlich mit "küß die Hand, meine Verehrung, Frau Hofrat" begrüßt. (Frank 1998, 68, 80) Gerät das goldene Wiener Herz freilich in Rage, und sei es auch nur wegen "Schbombernadeln" oder "Ballawatsch" (Frank 1998, 67 f.), so ergießt sich eine deftige Brühe an Injurien und Invektiven über die Verursacher seines Zorns: die "Funzen" und "Fuchteln", "Falotten" und "Pülcher", die "Hallodris", "Hodalumpen", "Taschelzieher", "Mäureißer", "Aufdrarer" und "Naderer" (Frank 1998, 117, 145, 148, 183, 219, 323, 329).

Die österreichischen Rückkehrer und deutschen Flüchtlinge (unter ihnen etwa Albert Bassermann (s. u.), Gottfried Bermann-Fischer, Ernst Busch, Bruno Frank, Oskar Maria Graf, Bruno Walter, Walter Mehring oder Carl Zuckmayer) erhofften sich in Österreich, diesem 'zweiten deutschen Staat', Schutz vor politischer und 'rassischer' Verfolgung sowie den Aufbau einer neuen Existenz. (vgl. Mit der Ziehharmonika 2/1999, 3 f. und 3/1999, 34-39) Vielen von ihnen mag es ergangen sein wie Franks Protagonisten Konrad Holler, der sich erst im mitunter babylonisch anmutenden Idiom der Wiener zu verheddern droht und bald auch im Dickicht bizarrer Umgangsformen, skurriler Denkweisen und abstruser politischer Haltungen - denn (wie der Erzähler versichert) der Berliner Holler kennt "Wien noch nicht und die geschmeidige Art seiner Bewohner, viel zu versprechen und nichts zu halten", die "urwiener Schlamperei: diese lockere Unlogik, diese zwecklose Umständlichkeit", den "Matratzencharakter des Österreichertums, der instand setzt, Belastungen aller Art aufzufangen", in "ein melodisches Hopsen zu verwandeln" und sich damit alles 'zu richten'" (Frank 1998, 63, 65, 97). 'Es sich zu richten' nicht nur in Beruf und Alltag, sondern auch im Staatspolitisch-Ideologischen: dazu befähigte, so träumen es sich Holler, Frank und mit ihnen wohl viele der Schutzsuchenden zurecht, neben konsequentem Anti-Nationalsozialismus womöglich auch der Wiener Schmäh, diese hier gängige und Außenstehenden unerklärliche hanswurstische Spielart ungreifbar-unangreifbarer, herausfordernd-zurückweichender Abgrundskomik. "Schmäh ist nicht Schwindel, Schmäh ist nicht Bluff, ein Schmäh ist gewiß nicht Hochstapelei. Er hat von alledem etwas" (Frank 1998, 65).

Busch, Ernst zeigen
Bermann-Fischer, Gottfried zeigen
Bassermann, Albert zeigen

Als eingeschworene 'Schmähtandler' erzählen die Wiener einander beinahe inbrünstig Schmähs, 'ziehen' einen Schmäh 'ab', 'reißen' Schmähs, 'lassen' untereinander den Schmäh ?rennen'. Schon seit Urzeiten, entnehmen Konrad Holler (und sein Autor Rudolf Frank) einem im Fluchtzug gelesenen Buch, (vgl. Frank 1960, 342) hätten es die Herrscher und Magnaten in diesem "Reich der Träumer" mit dem Schmäh 'gehalten', ihr Volk mit Schmäh beherrscht, aber auch vor Usurpatoren beschützt. Seinen Wurzeln nach, liest Holler, ist dieses Volk "im Donaubecken aus Mongolen, Kelten, Germanen, Slawen, Magyaren und vielen andern Substanzen gemischt" worden und "glitt" bislang "in nachtwandlerischer Sicherheit durch Jahrtausende [...], noch in der Unterjochung sich behauptend, <sich aufrichtend gegen Hunnen, Türken, Ungarn, Tschechen, Preußen> [...] Wird es sich retten auf seine alte geschmeidige Art: hinhaltend, <hinziehend>, hinauszögernd, liebenswürdig um alle Kanten biegend, Zuckerln austeilend, aber kein Brot, den Partner dupierend, den Sieger umschmeichelnd, mit Schmeicheleien ködernd und narrend?" (Frank 1998, 62/Ts 55)

Warum sollten nicht auch die damaligen Spitzen des Staates die Taktik ihrer politischen Väter und Vorväter aufgreifen und 'Schmäh führen', um listig und überlistend der nationalsozialistischen Barbarei im eigenen Land und den ständig dreister werdenden Begehrlichkeiten Hitlers zu begegnen, sie gleichsam mit einer Schmähmatratze aufzufangen? "Wird mir, sinnt Konrad über dem Buch, dies Land, diese Stadt eine Zuflucht sein? Oder ist dieses Land der Träumer selbst nur ein Traum?" (Frank 1998, 62) Der Flüchtlingstraum vom Wiener Schmäh als kommunikationstaktischem Programm und Kernstück außenpolitischer Diplomatie hat sich spätestens 1938 ausgeträumt. Trotz zänkischer Doppelbödigkeit und streitlustiger Unergründlichkeit hat er nicht nur als Waffe gegen den äußeren und inneren Feind versagt, sondern sich immer stärker gegen die Flüchtlinge gewandt, die sich in ihm heimisch zu fühlen begonnen haben, denn der Schmäh ist über und vor allem "die effektvolle theatralische Lüge, Gefasel, das sehr reell tut, Aufschneiderei mit gutem Willen und einem Schuß Wahrheit gefärbt, ein Traum aus Selbstbetrug und Blague" (Frank 1998, 65). Der Rückkehrerin Lili von Crailing aus dem Roman ist dies alles aus Kindertagen bekannt, und wie schon damals erregt es ihr Ekel und Grauen: Sie "atmet die Luft der Heimat, die stinkt wie ein verfurzter Kavalleriesattel" (Frank 1998, 20).

Hitler, Adolf zeigen

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