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KAPITEL

1. Rudolf Frank: "Fair play". Entstehung, Edition, kritische Urteile
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2. Wien als Stadt des Exils
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3. Geschichte und Roman: Historische Innensichten. Wiener Theater und Kleinkunstbühnen
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4. Geschichte und Roman: Historische Außensichten: Sozioökonomische Gegebenheiten, politische Strukturen, ideologische Legitimationsmuster
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5. Abschließende Bemerkungen
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6. Anhang
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Beatrix Müller-Kampel:
Als Exilant im austrofaschistischen Wien - Rudolf Franks autobiographischer Zeitroman "Fair play"


Der Theatermann Rudolf Frank gelangte in eine Stadt, die sich als Theatermetropole eines enormen Rufes erfreute - selbst noch 1936, als über den Theaterleitern, Regisseuren, Schauspielern und Kabarettisten bereits zwei Jahre lang das Damoklesschwert der Zensur und geforderten Selbstzensur hing. Leitlinien der austrofaschistischen Kulturförderung waren die "Achtung vor den Lehren des Christentums" sowie die "Achtung vor dem wahren Deutschtum und vor der neuen Volksgemeinschaft" (vgl. Haider-Pregler 1999, 101); exekutiert wurden sie von der 1934 als 'Sanierungszentrale der Wiener Theater' gegründeten "Österreichischen Kunststelle", die ihren Mitgliedern die Möglichkeit bot, stark verbilligte Karten für 'förderungswürdig' erachtete Vorstellungen zu beziehen, und die durch ihre Monopolstellung auch ohne nominelle Befugnis als Zensurstelle wirkte: Die Abnahme von Kartenkontingenten wurde nämlich von der Vorlage der Textbücher noch vor Probebeginn abhängig gemacht. Oppositionelle Theatermacher, v. a. jene der Kleinbühnen und Kabaretts, suchten demzufolge die Zensur durch verdeckte Schreibweisen bzw. die Irreführung oder Übertölpelung der Zensoren zu umgehen. Mitunter durften sie sogar auf das stillschweigende Einverständnis eines halbgebildeten schmähführenden Zensors hoffen.

"Lili hat erreicht, wofür sie ein Jahr und drei Monate gegen allen Unglauben, Warnungen, ökonomische Schwierigkeiten gearbeitet hat: Das Theater der äußeren Bezirke steht. Mit einem Packen von Manuskripten und Büchern sitzt sie vor dem hellgelb lackierten Schreibtisch des Zensors im Rathaus. 'Ich werd Ihnen doch nichts in den Weg legen', sagt der und ist so gemütlich wie sein Wiener Gesicht. [...] 'Natürlich dürfens net provozierend auftreten, das möchte i schon bitten, Gnädigste. Auch der Zug der Versöhnung, müssens bedenken, rollt vorläufig noch immer per 'Achse'. Woran hams denn als nächstes gedacht?' 'An "Die heilige Johanna der Schlachthöfe", gibt Lili an. 'Warum net?' sagt der richtige Österreicher und entzündet den Strohhalm seiner Virginia. 'Nur möchte ich Ihnen halt doch empfehlen, schreibens auf das Programm und die Ankündigungen net grad ?Heilige' drauf und ?Schlachthöfe', das paßt net zamm, schauns, so was irritiert die Herrn Geistlichen, und dann ruft der Herr Kardinal oder der Monsignore die Kunststelle an und die mich, und nachher ham wir beide Verdruß. Spielens das Stück unter dem Titel: "Die Jungfrau von Orléans". Dann kräht kein Hahn danach. Kann Ihnen doch gleich sein, was das Kind für ein Namen hat, wenn's Kind nur Ihr Kind is, net wahr?' Er zieht an seinem Tabakstengel, blättert in den Zensurexemplaren. '"Die Mutter" findet er, 'das is ein konzilianter Titel. "Mutterherz" wär noch besser für Wien, das sag ich Ihnen als erfahrener Zensor. Und vor allem, Gnädigste: Spielens nur immer hübsch im Kostüm. Recht antik: Rokoko oder Barock oder Biedermeier. Immer zurückspielen! Sie ahnen ja net, wie beruhigend so Allonge- oder Rokokoperücken auf die maßgebenden Kreise wirken'". (Frank 1998, 312 f.)

Die Arbeitslosenrate unter den Schauspielern in Wien war in den 1930er Jahren äußerst hoch; dementsprechend verzweifelt und erbittert verliefen die Kämpfe um kollektivvertragliche Anstellungen. (vgl. Haider-Pregler 1999, 98) Für Emigranten aus Nazi-Deutschland hatten sich die Bedingungen für eine behördliche Beschäftigungsbewilligung namentlich durch die seit 1934 rigorose Handhabung des Inländerarbeiterschutzgesetzes verschärft. (vgl. Haider-Pregler 1999, 102) Zudem waren sie nicht selten dem Intrigen- und Denunziantentum von Kollegen ausgesetzt, "die sich ideologisch durchaus an die Politik des Ständestaates und später dann an jene der Nazis anpaßten oder sich sogar damit idenitfizierten." (Haider-Pregler 1999, 134)

"Reichsdeutsche, die aus der NS-Kammer ausgesperrt sind, dürfen an Wiener Bühnen nicht tätig sein. Konrad Holler ist aus der Nazikulturkammer ausgesperrt. In mehreren Fällen freilich hat die Wiener Behörde ein Auge zugedrückt. Im Fall Holler reißt [der österreichische Schauspieler] Ladewig es ihr auf. Wie käme, stänkert er los, Österreich dazu, einem Berliner Arbeit zu geben? Wo doch namhafte Regisseure von Niveau, Ludwig Ladewig zum Beispiel, unbeschäftigt herumlaufen oder mit minderen Rollen abgespeist werden. Dagegen empört sich sein Gerechtigkeitsgefühl als Mensch, als Österreicher, als Wiener und als Künstler. Die Wiener Verwaltung, die - wenn es sich bloß um das Leben eines Bundeskanzlers handelt - bekanntlich gemächlich arbeitet und erst nach vollendeter Tat zur Stelle ist (Engelbert Dollfuß ist an dieser Polizeipraxis gestorben, vgl. Jagschitz 1976, 96-103), funktioniert in dem weit unbedeutenderen Fall Holler mit unheimlicher Geschwindigkeit. Warum ist Konrad auch an der Kirche zu den neun Chören der Engel nur immer vorüber und nie zur Beichte hinein und nie im Schlagadercafé um das Kinn des zeitunglesenden Monsignore gegangen? Hat man ihm nicht angetragen, ihm die Verbindungstüren zum Kirchenfürsten zu öffnen, dessen Empfehlung in allen Anstellungs- und Konzessionsfragen entscheidend ist? Solche Beziehungen muß man pflegen wie Gummibäume. Da muß man hinterher sein. Jetzt hätte ihm der Unnützer [d.i. Kardinal Innitzer, s. u.] nützen können". (Frank 1998, 172 f.)

Dollfuß, Engelbert zeigen

Die deutschen NS-Vertriebenen und österreichischen Remigranten suchten in der ungeheuer lebendigen, vielfältigen und vielfach miteinander vernetzten Kleinbühnen- und Kabarettszene Fuß zu fassen. (vgl. Haider-Pregler 1999, 104) Unter anderen bemühte sich Rudolf Frank, sie durch Neuorganisation der Bühnenarbeit sowie durch Popularisierung traditioneller Stücke dem Proletariat zu öffnen. Einem 1938 ausgefüllten Fragebogen ist zu entnehmen, dass er eine "Neue Volksbühne Wien" (künstlerische Leitung: Rudolf Frank, Geschäftsführung: Oswald Fischer) gründen wollte. Gefördert von den Wiener Gewerkschaften und der "Sozialen Arbeitsgemeinschaft", sollten die Aufführungen in den Arbeitervierteln Ottakring, Favoriten und Floridsdorf stattfinden. (vgl. Busch 1986, 60)

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