chmelnizki

Biografie

5.5. 1885 Konstantinowska (Ukraine) – 28.3. 1946 NY.

Kam mit zwölf Jahren nach Lemberg, wo er das Gymnasium absolvierte. Wurde um 1905 für einige Monate Literaturredakteur der ersten jiddischen Tageszeitung Galiziens, des Lemberger „togblat“, das die Arbeit vieler junger jiddischer Schriftsteller förderte. Er schrieb anfangs Polnisch. Später schrieb er ausschließlich in jiddischer Sprache, in die er auch polnische und deutsche Dichter übersetzte. Studium der Medizin in Wien; Promotion 1912.

M.Ch. veröffentlichte in zahlreichen jiddischen Zeitungen auf der ganzen Welt populärwissenschaftliche Artikel über medizinische Themen. So schrieb er vor allem für den heute noch existierenden jiddischen „forverts„.

Er emigrierte 1939 mit seiner Familie in die USA und lebte in New York.

Werke:

ojf a schtiler ssteshke. (Gedichte.) Wien: ‚der kwal‘ 1921. 71 S.
der karlik (= „Der Zwerg“). Wien 1936. 19 S.
ru un umru. (Gedichte und Übersetzungen. Vorwort von M. Rawitsch und Nachwort von M. Neugröschel.) NY 1948. 128 S.

Sekundärliteratur:

m. najgreschl: di moderne jidische literatur in galizje. In: fun noentn òvar. NY 1955, 292-298.
m. rawitsch: majn lekssikon. Bd.IV/1. Tel Aviv 1980, 300-302.

Bibliografische Angaben:
Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien 2000. S. 142f

Exponate

Melech Chmelnizki-Porträt

Porträtfoto des jiddischen Dichters Melech Chmelnizki in dem posthum erschienenen Gedichtband „ru un umru“ (New York 1948), zu dem Melech Rawitsch ein Vor- und Mendel Neugröschel ein Nachwort geschrieben haben. Der Band enthält die meisten Dichtungen und Übersetzungen Chmelnizkis. Nach diesem Buch ist – abgesehen von Übersetzungen einzelner Gedichte in gezählten Anthologien – nie mehr etwas von Melech Chmelnizki erschienen. Er kann neben Mendel Neugröschel als der „typiste“ Jiddisch schreibende Wiener Dichter bezeichnet werden.

Bibliografische Quelle: melech chmelnizki: ru un umru. New York 1948. S. 5

Chmelmizki mit Fuchs und Neugröschel in Wien, 1930er Jahre.

 Foto der drei „typisten“ Wiener jiddischen Schriftsteller.

In den 1920er Jahren verließen viele in Wien lebende jiddische Kulturschaffenden die Stadt. Zu denen, die bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in Wien blieben und schrieben, gehören die jiddischen Schriftsteller Mendel Neugröschel, Abraham Mosche Fuchs und Melech Chmelnizki, – hier auf einem Foto aus den 1930er Jahren.

Mendel Neugröschel schrieb in Amerika seine Monografie „di moderne jidische literatur in galizje“ (1904 – 1918), in: fun noentn òvar, New York 1955, S. 265 – 398. Diese leider nie übersetzte Studie bildet die Grundlage für jede Beschäftigung mit der jiddischen Literatur in Österreich.

Bibliografische Quelle: G. Kohlbauer-Fritz: In einer Stadt die stirbt. Jiddische Lyrik aus Wien. Wien 1995. S. 19

Melech Chmelnizki: „Die Votiv-Kirche in Wien"

 M. Chmelnizkis Gedicht ist ein Beispiel des Bemühens um Verstehen des „Geistes“ der neugotischen Wiener Kirche

Melech Chmelnizki: „Die Votivkirche in Wien“.

Transkription und Übersetzung von Armin Eidherr.
Aus: Armin Eidherr (Hg.): gehat hob ikh a heym/Ich hatte ein Zuhaus‘.

Zeitgenössische jiddische Lyrik. Landeck: EYE 1999. S. 101

EYE-Verlag

Bibliografische Quelle:
Armin Eidherr (Hg.): gehat hob ikh a heym/Ich hatte ein Zuhaus‘.
Zeitgenössische jiddische Lyrik. Landeck: EYE 1999. S. 101

Copyright/Übersetzung: Armin Eidherr

 

Der Zwerg (Anfang des Poems - erster von 6 Abschnitten)

Alles weißer Marmor, ganz aus kaltem Stein:
Erde, Gras und Bäume, Wälder in der Ferne.
Tot der weiße Himmel, leer und ohne Sonne,
Und die Zeit blieb auch versteinert stehen.
Ausgestreckt und starr, die Hände ausgebreitet,
Wie auf einem Kreuze lieg‘ ich auf dem Stein –
’s beugt sich über mich ein buckeliger Zwerg,
Fletscht beim Grinsen große pferdehafte Zähne.
Ständig starrt er mit den bitter glupschen Augen,
Grapscht herum mit kalten, langen Spinnenfingern,
Beugt sich nieder, raunt ins Ohr mir ein Geheimnis:
Gleich wird’s leichter werden, gleich wird’s leichter werden.
Nimmt die Axt aus Marmor, hackt mir eine Hand ab:
Es tut mir nicht weh, und es fließt kein Blut –
Stumm und ohne Staunen bliche ich den Zwerg an.
Wieder nimmt die Axt er, hackt in einem fort,
Hackt und hackt und hackt mir einzeln jedes Glied ab,
Hackt und hackt und hackt Stück für Stück von mir.
Bis zum Hals und Nacken, bis ganz an den Kopf.
Es tut mir nicht weh, ich höre keinen Schlag –
Stumm und ohne Schrecken blicke ich den Zwerg an.
Sieh! Jetzt legt der Zwerg schon die Axt beiseite,
Streckt zwei Finger aus, packt mich an dem Schopf,
Stellt mich auf den Boden, stellt mich auf den Hals,
Setzt sich selbst zu Boden, würdig wie ein Türke,
glotzt mich an mit weit-weit aufgeriss’nen Augen,
Sagt zu mir gelangweilt: Tanz jetzt, Kopfmensch, tanz!
Auf dem Marmor tanz‘ ich mit dem bloßen Kopf,
Wie ein Fröschlein hüpf‘ ich: Hopp – hopp – hopp.
Schwerfällig und plump, rhythmisch abgehackt
Spring‘ ich, mache halt – und beginn erneut.
Und es freut der Zwerg sich, klatscht und zählt im Takt:
Eins – zwei – drei! Eins – zwei – drei!

Diese erste Übersetzung dieses Kleinepos findet sich in: Literatur und Kritik. Nr. 273/274, April 1993. Salzburg 1993. S. 68 – 75.

Das Poem ist durch und durch von psychoanalyischer Symbolik erfüllt. Der Ich-Erzähler und der Zwerg, nachdem dieser den Zerstückelten wieder zusammengesetzt hat, durchwandern eine Art Seelenlandschaft, in welcher sie – meist vom Zwerg veranlasste – grauenhafte Dinge erleben. Als der Zwerg am Schluss Dinge vom Erzähler verlangt, die eine Überschreitung der fundamentalsten moralischen Grenzen bedeuten würden, erwürgt ihn dieser „und mit hartem Absatz trat ich seine Augen aus / Und zertrampelte den Körper stumm, mit wildem Zorn – / Dann beweinte ich den langen, langen Wahnsinn still.“

Bibliografische Quelle:
M.Chmelnizki: „Der Zwerg“. In: Armin Eidherr: Auf stillem Pfad … Jiddische Schriftsteller in Wien. Dossier jiddische Literatur. In: Literatur & Kritik, Nr. 273/4, Salzburg 1993. S. 68 – 75; Zeichnung von B. Kopman aus: melech chmelnizki: ru un umru. New York 1948. S. 97.

Copyright/Übersetzung: Armin Eidherr

Melech Chmelnizki im Exil

Handschriftliche Fassung des Gedichtes plejtim (d.h. „Entronnene“) mit Übersetzung.

Übersetzung ins Deutsche:

Entronnene

Wir sprechen leis‘. Wir schweigen. Alleine woll’n wir sein
Und suchen in der Tage Agonie eine Erklärung.
Wir werden stumm erlöschend flackern und sterben vor der Zeit.
Schwer wird die Erd‘ auf uns’re müden Knochen fallen.
Danach jedoch, danach – da werden wir, geläutert,
Frei und erfüllt von Sehnsucht, zurückkehr’n – Reih‘ um Reih‘ –
Aus New York, aus Shanghai, Brasilien und Uruguay,
Zurück zu dir, Europa, ungetreue Mutter,
In die zerstörten Städte, gemeinsam und getrennt;
Wir werden dort umherirren – verborgen, stumm,
Wo noch der Widerhall unserer jungen Freude zittert.
Auf Gräbern ohne Grabsteine, einem entweihten Friedhof
Werden wir Ruhe suchen und wieder uns verbinden,
Als einsame Ringe, mit des Gesterns Kette.

 

Bibliografische Quelle:
melech chmelnizki: ru un umru. New York 1948. S. 48.

Copyright/Übersetzung: Armin Eidherr

Exilierte jiddische Dichter aus Wien– ist Teil des Projektes „Österreichische Literatur im Exil seit 1933“ der Universität Salzburg/Institut für Germanistik; Gestaltung: Artur Bodenstein – laboratoire directe

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