Exil Exil Überblicke
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Titel: Woman at a Window
1956 coll. Tel Aviv Museum of art. Mit freundlicher Genehmigung von Yosl Bergner, Tel Aviv.
MalerIn/FotografIn: Yosl Bergner
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Die ÜBERBLICKE beschäftigen sich in insgesamt 17 Modulen mit den wichtigsten Voraussetzungen, Erscheinungsweisen und Problemen des Exils. Am Ende von Kapiteln oder Textabschnitten werden multimediale Materialien (Fotos, Töne, Videos, Externe Links, Textausschnitte) angeboten. Jede Einheit enthält einen ANHANG, in dem die bibliographischen Materialien versammelt sind und eine Printversion der Vorlesung angeboten wird.
Seit 1934, nach der Niederschlagung des Februaraufstandes, befand sich ein Teil der österreichischen Literatur im Exil. 1938 folgte der große Bruch: Der 'Anschluss' führte zur lang anhaltenden Spaltung in eine Literatur des Widerstands/Exils und eine Literatur der 'Daheimgebliebenen'. Auf der einen Seite (Exil) fanden sich die bedeutendsten Autor/inn/en der Zeit, auf der anderen das Mittelmaß, die provinzielle Selbstüberschätzung, die kulturelle Mittäterschaft. Innere Emigration, Selbstrückzug bei gleichzeitiger Distanz zum totalitären Regime bildete den Ausnahmefall. Neben den sich ausbildenden Zentren der österreichischen Exilliteratur (Tschechoslowakei, Frankreich, Großbritannien, USA) thematisiert der Überblick die wichtigsten ästhetischen und politischen Perspektiven, die im Exil entwickelt wurden, einschließlich ihrer Veränderungen bzw. Erweiterungen im Umfeld der Fragen und Problemstellungen wie Widerstand, Befreiung, Massenmord, Rückkehr und Wiederaufbau.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Österreich bereits 1933 zum Asyl- oder Transitland für deutsche Intellektuelle, Künstler/innen und Schriftsteller/innen, obwohl die Fremdengesetze restriktiv waren und seit 1934 insbesonders linksorientierten Kritikern die Einreise nahezu unmöglich machten. Die Zahl deutscher Exilanten in Österreich blieb daher bis 1938 insgesamt recht niedrig; nur knapp zwanzig Autoren entschieden sich für das "Asylland wider Willen", der bekannteste darunter war Carl Zuckmayer. Im Verlagsbereich wählte immerhin der renommierte Bermann-Fischer Verlag Wien bis 1938 als Standort. Auch die Gründung der wichtigen "American Guild for Cultural Freedom" nahm in Wien ihren Ausgang. Aber nur in den Bereichen Film, Theater und Kabarett boten sich Arbeitsmöglichkeiten für deutsche Emigranten und entwickelte sich trotz exilfeindlicher Verordnungen bis 1938 eine teils lebhafte Subkultur, die an einzelnen Beispielen dargestellt wird.
In diesem Beitrag werden einige Grundvoraussetzungen für das Verständnis der österreichischen Exilliteratur genauer dargestellt. So wird erläutert, wie unterschiedlich die literarische Produktion, die politische Einstellung und der Umgang mit der Exilsituation der zur Flucht gezwungenen Autoren war. Der erste entscheidende Einschnitt war für Österreich der Bürgerkrieg im Februar 1934. Der Sieg des Austrofaschismus vertrieb nicht nur Sozialdemokraten und Kommunisten, sondern auch Autoren wie Stefan Zweig, Robert Neumann und Hilde Spiel. Autoren wie Robert Musil, Elias Canetti und Hermann Broch hielten auch unter der Kulturpolitik des Ständestaats noch aus, während sich katholische und konservative Autoren explizit dazu bekannten (z.B. Franz Werfel). Nach der großen Fluchtwelle im März 1938 fanden sich viele dieser Autoren im Exil wieder, ohne dass es eine weltanschaulich oder politisch geschlossene Gemeinschaft gegeben hätte. Beispielhaft für die Gräben zwischen den Lagern ist die Debatte zwischen Ernst Lothar und Berthold Viertel um die Bedingungen eines "anderen Österreich", die in der Exilzeitschrift "Austro-American Tribune" geführt wurde.
Obgleich seit Engelbert Dollfuß' kaltem Staatsstreich autoritär und zunehmend faschistisch regiert, wurde Österreich für nicht wenige NS-Verfolgte Fluchtpunkt, ja Heimat, von der sie sich Sicherheit und Widerstand gegen Hitler-Deutschland erhofften - so auch der aus Mainz gebürtige Schriftsteller und Theatermann Rudolf Frank (1886-1962). Sein kurz nach dem "Anschluss" 1938 geschriebener autobiographischer Zeitroman "Fair play" vermittelt ein sozial-, politik- und kulturgeschichtlich überaus detailreiches Panorama des austrofaschistischen Wien und überdies eine in ihrer Differenziertheit beeindruckende, geschichtswissenschaftlich weitsichtige Analyse der zeitgenössischen politischen Verhältnisse. Hervorzuheben ist dabei das Psychogramm von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der als Romanfigur auftritt. Der Beitrag stellt Historie und historisches Material (u.a. Kommentare aus der kommunistischen "Roten Fahne" oder den Schriften Schuschniggs) den themengleichen Passagen aus dem Roman gegenüber und ermöglicht damit textanalytische Vergleiche zwischen sachlich-historischen und literarisch-fiktiven Aussageformen.
Diese Vorlesung beschäftigt sich mit den Problemen des Widerstandsrechts und dessen Traditionen seit dem 18. Jahrhundert. In der Diskussion um Widerstandsrecht und -pflicht lassen sich eine positivistische Schule und eine dem Naturrecht verpflichtete Schule unterscheiden. Während für die einen Widerstand allenfalls dort zur Pflicht wird, wo von Staatsorganen geltendes positives Recht verletzt wird, leiten die anderen das Widerstandsrecht aus unveräußerlichen, dem Menschen angeborenen Rechten ab, die in der bestehenden Rechtsordnung nicht berücksichtigt oder sogar direkt verletzt sind. Der Widerstand richtet sich in diesem Fall nicht gegen einzelne obrigkeitliche Verfehlungen und Willkürakte, sondern gegen ein System des Unrechts. Der im Namen der unveräußerlichen Menschenrechte erhobene Widerstand zielt somit auf eine Veränderung des bestehenden Rechtssystems, sei es durch Reform, durch allmähliche Anpassung an die Forderungen der Menschlichkeit, sei es durch gewaltsamen Umsturz. Die Vorstellung, dass die schöne Literatur in einem Verhältnis der Opposition, des Widerstandes zur prosaischen Wirklichkeit stehe, bildete sich mit der Romantik heraus. Als Ausgangspunkt der zeitgenössischen Diskussionen (ab den frühen 1930er Jahren) über die Möglichkeit, mit literarischen Mitteln Widerstand gegen den Faschismus zu leisten, erscheint immer wieder die beschriebene Dichotomie zwischen politischen Traditionen des Widerstandes und dem sich selbst genügenden Romantisch-Widerständigen der Poesie. Die Widerstandsliteratur ist in Österreich nicht zur vollen Entfaltung der in ihr angelegten Möglichkeiten gelangt. Sie hat keine solchen Zentralgestalten hervorgebracht wie Bert Brecht in Deutschland oder Jean Paul Sartre in Frankreich. Es gibt kein Werk, das für die Auseinandersetzung mit dem Faschismus "klassisch" geworden wäre. Ein Roman, der die ganze Entwicklung von 1934 bis 1945 in ihren typischen Erscheinungen, Figuren und entscheidenden Wendungen behandelt, fehlt. Die Ursache dieses Mangels liegt nicht allein darin, dass einige der begabtesten Schriftsteller den NS-Verfolgungen zum Opfer gefallen sind und viele andere in der Emigration physisch und moralisch zermürbt worden sind.
Die Vorlesung beschäftigt sich mit der Frage nach dem Stellenwert der Sprache im Exil, d. h. in einer meist fremdsprachigen und fremdkulturellen Umgebung. Darauf haben Schriftsteller und Intellektuelle mit einer verstärkten Sprachreflexion reagieren müssen und reagiert. In manchen Fällen hat das zu temporärem oder definitivem Sprachwechsel, in anderen Fällen zu einer formbewussten Sprachpraxis bzw. Sprachästhetik geführt, in wieder anderen zu bedeutenden Leistungen auf dem Gebiet der literarischen Übersetzung, insbesondere in der Nachkriegszeit, womit eine besondere Beziehung zwischen Exilerfahrung und wechselseitiger literarischer Rezeption bis in die jüngere Gegenwart sichtbar wird.
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