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KAPITEL

1. Jura Soyfer: Das Dachaulied
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2. Theodor Kramer: Der Ofen von Lublin (22.8. 1944)
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3. Fred Wander: Der Siebente Brunnen. Erzählung
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4. Fred Wander: Gesichter (Kap. XI). In: Der siebente Brunnen. Erzählung (1972)
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5. Anhang
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Herbert Staud:
Holocaust und Literatur


"Das Gesicht eines ukrainischen Bauern, der sich schleppt, mit wunden Füßen. Ein Gesicht wie ein Rübenacker, braun und gegerbt mit tiefen Furchen und zwei wasserblauen Augen, klar, hell und offen, wie der Himmel über dem Acker. Es hat wohl nie jene Glätte müßiger Tage gekannt, das Gesicht. Arbeit hat es gehärtet. Kein Muskel darin, nur zum Täuschen gemacht, und doch auch die List. (Wie sagte Tolstoi: sie stellen sich dumm, darin liegt ihre Stärke!) Aber jetzt lag nur Angst in dem Gesicht, es brannte von dem Willen zu leben. Weiß Gott, wem er es schuldete, für sich selbst hätte er es nicht vermocht. Ich beobachtete, wie dieses Gesicht erlahmte und ein starker Wille brach. Ruhe breitete sich darin aus, eine befremdende Ruhe. Am Abend des ersten Tages auf diesem Transport, als er längst wusste - weit schaffe ich es nicht mehr (und jeder von uns das Drama oft gesehen hatte: ein Mann gibt auf, geht zur Seite, dann ein Schuss), verloren seine Augen jede Farbe. Sie wurden weiß und blickten aus erschreckender Ferne. Ich wusste nun, was geschehen würde. Seine Schritte wurden schleppender. Über seiner Gestalt, die sich immer mehr beugte, über seinem Gesicht, dessen Spannung sich lockerte, lag die Mattigkeit der Erlösung. Es fällt alles ab von so einem Gesicht. Alles Angelernte, Gewohnte fällt ab, wie eine Schale. Und was bleibt zurück? Ich beobachtete die Verwandlung, ich hatte diesen Prozess der Vergeistigung bisher nur bei Toten gesehen: Ein seltsames Leuchten liegt plötzlich über dem Gesicht, und du erkennst selbst den Freund nicht mehr. So viel Ernst, Sammlung und Würde hast du nie in ihm gesehen. Wie konnte er es verbergen? Aber dann begreifst du: Das Gesicht des Menschen ist Jahrtausende alt. Die wenigen Jahre seines eigenen Lebens sind abgefallen, alles Ungereimte und Schwache. Zurück bleibt das Gesicht der Väter und Mütter. Der Ausdruck einer großen Mühe, Mensch zu sein."

"In der Dämmerung war es: Die unabsehbar lange Kolonne der Häftlinge schob sich schwerfällig dahin. Der Bauer murmelte ein Gebet. Nicht inbrünstig oder verklärt, nur sehr gefasst. Dann bewegte er sich zum Straßenrand, ließ sich auf die Knie fallen, das Gesicht zum Himmel gewandt, aber die Augen schon geschlossen, und machte mehrmals das Zeichen des Kreuzes. Niemand brauchte hier lange zu warten. Die Langeweile der Gestiefelten auf diesem Marsch trieb sie zu allerlei derben Späßen an. Ich beobachtete einen jungen SS-Mann, ein Milchgesicht und obendrein recht hübsch. Er hatte als erster den Alten entdeckt. Nervös versuchte er den Revolver zu ziehen, denn meist, wenn man nicht flink war, kam einem ein anderer zuvor. Sie rissen sich darum, zu schießen, sie wetteiferten darin. (Und gewiss zählten sie die Treffer wie beim Billard!) Kurz, der Jüngling hatte Schwierigkeiten, das Schießeisen zu ziehen, der Verschluss der Tasche funktionierte nicht. Sein Gesicht war hektisch rot, gierig und verlegen, nicht bösartig. Wäre er nur böse gewesen, wie leicht wäre das zu erklären. Da war nicht Hass oder der Wille zu töten, nur eine Art sportlicher Eifer, Kitzel der Macht. (Ich kann es tun, es ist fast gar nichts dabei, nur so wie beim Taubenschießen!) Und was er befürchtete, trat ein: Ein anderer, gewitzterer Stiefelträger kommt herbei. Er hält die Pistole schussbereit in der Hand. Sorgfältig zielt er, dann grinst er, wirft einen Blick auf den Jüngeren, lächelt gönnerhaft und sagt: Na schieß schon, beeil dich! Der Junge schießt, trifft aber nicht. Der Häftling macht gerade noch einmal das Zeichen des Kreuzes. Er weiß nicht, weiß selbst nicht, ist das nun der Tod? Noch ist er nicht getroffen, aber irgend etwas wirft ihn um, er stürzt schwer auf den Rücken und liegt da wie ein gefällter Baum. Der bessere Schütze ist nun an der Reihe, zielt noch einmal und trifft den Häftling mitten in die Stirn. Er bewegt sich nicht mehr, der Getroffene. Ausgebreitet auf der fremden Erde liegt er da.

Das Gesicht eines Juden, er war plötzlich der Länge nach hingefallen und liegengeblieben. Kameraden drehten ihn um. Er lebte noch und lächelte mit geschlossenem Mund. Blut sickerte über seine Lippen. Sein Kind stand dabei, ein vielleicht zwölfjähriger Bub. Er schaute erschrocken um sich. Der Stiefelträger näherte sich gemächlich und hielt die Waffe schon bereit. Kameraden halfen dem Mann auf die Beine, aber marschieren konnte er nicht. Sie führten ihn zu einem Baumstrumpf am Rande der Straße, dort hockte er sich hin, beugte sich rücksichtsvoll nach hinten und entleerte den Mund. Geh, sagte er dann zu seinem Jungen und stieß ihn liebevoll von sich. Er lächelte dabei. Was für ein seltsames Lächeln, verlegen und schuldbewußt. Der Junge umklammerte seine Füße, der Vater wand sich in Ängsten um den Sohn. Er streichelte seinen Kopf mit der einen Hand, mit der andern stieß er ihn von sich. Häftlinge packten den Jungen und zogen ihn fort. Der Junge fing an zu schreien und mit Händen und Füßen zu stoßen. Der Vater lächelte und sagte gebrochen: Ich bitte dich, geh! Hinter ihm stand der Gestiefelte wie der leibhaftige Tod. Die Häftlinge hielten dem Jungen die Augen zu, verschwanden mit ihm in der Menge. Den Knall, den hörte man kaum." (Wander 1994, 105-108)

Phagozyten - (Fresszellen) Zellen, die kleine Fremdkörper, bes. Bakterien, in sich aufnehmen und vernichten können.

Aufgabe:

Wechseln Sie erneut in das ARBEITSBLATT, um einige Frage (4.1. bis 4.7.) zu beantworten. Rufen Sie, bitte, dazu wieder Ihr schon gespeichertes Arbeitsblatt von dem von Ihnen gewählten Speicherplatz auf. Vergessen Sie nicht, Ihre Arbeitsergebnisse im Anschluss wieder unter demselben Filenamen auf Ihrem PC oder Ihrer Diskette zu speichern.

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